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Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia

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etwas Deprimierendes, daher nahm ich in einem modernen, achtstöckigen Hotel im<br />

Stadtzentrum Quartier.<br />

Der Hotelboy sagte mir, daß zum Haus ein Restaurant gehöre, und als ich zum<br />

Essen herunterkam, stellte ich fest, daß draußen auf dem Bürgersteig Tische<br />

standen. Sie waren recht hübsch an der Straßenecke unter einem niedrigen, flachen,<br />

modernen Ziegelgewölbe aufgestellt. Draußen war es kühl und einige Tische waren<br />

noch frei, dennoch zog ich es vor, drinnen in der stickigen Luft zu sitzen. Beim<br />

Eintreten hatte ich eine Gruppe von Schuhputzerjungen bemerkt, die draußen auf der<br />

Einfriedung vor dem Restaurant saßen, und ich war sicher, daß sie sich auf mich<br />

stürzen würden, sobald ich mich nach draußen setzte.<br />

Von meinem Platz konnte ich die Jungen durch die Fensterscheiben beobachten. Ein<br />

paar junge Männer setzten sich an einen Tisch, die Jungen umringten sie sofort und<br />

boten ihnen ihre Dienste an. Die jungen Männer lehnten ab, und ich war überrascht<br />

zu sehen, daß die Jungen ohne weiteres von ihnen abließen und sich wieder auf die<br />

Einfriedung zurückzogen. Kurz danach standen drei Männer in Büroanzügen auf und<br />

gingen weg, und die Jungen rannten an ihren Tisch und machten sich über die<br />

Speisereste her; in Sekundenschnelle waren die Teller leer. Dasselbe geschah mit<br />

den Speiseresten an allen <strong>andere</strong>n Tischen.<br />

Ich stellte fest, daß die Kinder sich recht manierlich benahmen; wenn sie Wasser<br />

verschütteten, wischten sie es mit ihren eigenen Schuhputztüchern sofort auf. Auch<br />

fiel mir auf, wie gründlich sie beim Vertilgen der Reste waren. Sie verspeisten sogar<br />

die in den Wassergläsern übriggebliebenen Eiswürfel und die Zitronenscheiben samt<br />

Schale aus den Teetassen. Es verkam absolut nichts.<br />

Während der Zeit, die ich in dem Hotel verbrachte, stellte ich fest, daß zwischen dem<br />

Chef des Restaurants und den Kindern ein Abkommen bestand. Die Jungen durften<br />

sich auf dem Gelände aufhalten, damit sie an den Gästen etwas verdienen konnten,<br />

es war ihnen auch gestattet, die Überbleibsel aufzuessen, vorausgesetzt, daß sie<br />

niemanden belästigten und nichts beschädigten. Es waren insgesamt elf Jungen im<br />

Alter von fünf bis zwölf Jahren. Der älteste stand je<strong>do</strong>ch etwas außerhalb der<br />

Gruppe. Sie schlossen ihn ganz bewußt aus und machten sich über ihn lustig und<br />

riefen ihm nach, daß ihm schon die Schamhaare wüchsen und daß er zu alt sei, um<br />

mit ihnen zusammenzusein.<br />

Nachdem ich drei Tage lang zugesehen hatte, wie sie sich wie Geier auf die<br />

kärglichen Reste stürzten, war ich richtig deprimiert und verließ diese Stadt mit dem<br />

Seite 18

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