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Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia

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Gefühl, daß es für die Kinder, deren Welt bereits vom täglichen Kampf um ein paar<br />

Brotkrumen geprägt war, keine Hoffnung gab.<br />

»Hast du Mitleid mit ihnen?« rief Don Juan ungläubig. »Selbstverständlich«, sagte<br />

ich. »Warum?«<br />

»Weil mir am Wohlergehen meiner Mitmenschen gelegen ist. Das sind <strong>do</strong>ch noch<br />

Kinder, und ihre Welt ist häßlich und trostlos.«<br />

»Sag mal, wie kannst du behaupten, daß ihre Welt häßlich und trostlos ist?« fragte<br />

Don Juan spöttisch. »Du glaubst, daß du es besser hast, nicht wahr?«<br />

Ich bestätigte das, und er fragte mich, warum. Darauf erwiderte ich ihm, daß meine<br />

Welt, im Vergleich zu der jener Kinder, unendlich vielfältiger und reicher an<br />

Erfahrungen und Möglichkeiten der persönlichen Befriedigung und Entwicklung sei.<br />

Don Juan lachte belustigt auf. Er meinte, ich wüßte nicht, was ich redete, und ich<br />

hätte keine Ahnung von Reichtum und Möglichkeiten der Welt dieser Kinder.<br />

Ich glaubte, Don Juan wollte mich einfach nicht verstehen. Ich vermutete, daß er, nur<br />

um mich zu ärgern, eine entgegengesetzte Ansicht vertrat. Ich war fest davon<br />

überzeugt, daß diese Kinder nicht die geringste Chance eines geistigen Wachstums<br />

hatten. Ich verteidigte meine Auffassung noch einige Zeit, bis Don Juan mich<br />

rundheraus fragte: »Sagtest du nicht mal, daß es deiner Meinung nach für einen<br />

Mann die höchste Vollendung sei, ein Wissender zu werden?«<br />

Das hatte ich allerdings gesagt, und nun wiederholte ich meine Ansicht, daß ich es<br />

für eine der größten geistigen Errungenschaften hielte, ein Wissender zu werden.<br />

»Glaubst du, daß deine reiche Welt dir helfen kann, ein Wissender zu werden?«<br />

fragte Don Juan mit einem Anflug von Sarkasmus.<br />

Ich antwortete nicht, daraufhin stellte er die gleiche Frage noch einmal in <strong>andere</strong>r<br />

Form, so wie ich es immer tat, wenn ich glaubte, er hätte mich nicht verstanden. »Mit<br />

<strong>andere</strong>n Worten«, sagte er breit lächelnd, wobei er offenbar erkannte, daß ich seine<br />

Anspielung verstand, »können deine Freiheit und deine Möglichkeiten dir helfen, ein<br />

Wissender zu werden?«<br />

»Nein!« sagte ich mit Bestimmtheit<br />

»Wie können dir diese Kinder dann leid tun?« fragte er ernst. »Jedes von ihnen<br />

könnte ein Wissender werden. Alle Wissenden, die ich kenne, waren einmal Kinder<br />

wie jene, die du Speisereste essen und Teller ablecken gesehen hast.« Mit diesem<br />

Einwand rief Don Juan in mir ein unangenehmes Gefühl hervor. Die Kinder hatten<br />

mir nicht etwa leid getan, weil sie nicht genug zu essen hatten, sondern weil, wie ich<br />

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