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Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia

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fror und fühlte mich sehr einsam und begann zu weinen. In diesem Augenblick hatte<br />

ich das Gefühl, jemanden zu brauchen, der für mich sorgte. Ich wendete den Kopf zu<br />

Don Juan rüber. Er starrte mich an. Ich wollte ihn nicht sehen, daher schloß ich die<br />

Augen. Und dann sah ich meine Mutter. Es war nicht der Gedanke an meine Mutter,<br />

so wie ich gewöhnlich an sie denke. Es war eindeutig eine klare Vision meiner<br />

Mutter, sie stand neben mir. Ich war verzweifelt. Ich zitterte und wollte entfliehen. Die<br />

Vision meiner Mutter war zu beunruhigend, zu unvereinbar mit dem, was ich bei<br />

diesem Peyotetreffen beabsichtigte. Offenbar gab es keine Möglichkeit, sie bewußt<br />

auszuschalten. Vielleicht hätte ich meine Augen öffnen können, wenn ich die Vision<br />

wirklich hätte vertreiben wollen, aber statt dessen betrachtete ich sie in allen<br />

Einzelheiten. Dieses Betrachten war mehr als ein bloßes Anschauen; es war ein<br />

zwanghaftes Überprüfen und Beurteilen. Ein sehr eigenartiges Gefühl überkam mich,<br />

das mehr einer von außen kommenden Kraft zu gleichen schien, plötzlich fühlte ich<br />

die schreckliche Last der Liebe meiner Mutter. Als ich meinen Namen hörte, wurde<br />

ich fast in Stücke gerissen. Die Erinnerung an meine Mutter erfüllte mich mit Angst<br />

und Trauer, aber als ich sie betrachtete, erkannte ich, daß ich sie nie geliebt hatte.<br />

Das war eine erschütternde Erkenntnis. Gedanken und Bilder stürzten wie eine<br />

Lawine auf mich ein. Die Vision meiner Mutter mußte sich in der Zwischenzeit<br />

aufgelöst haben; sie hatte keine Bedeutung mehr. Mich interessierte nicht mehr, was<br />

die Indianer taten. Selbst das mitote hatte ich vergessen. Ich war in eine Kette<br />

ungewöhnlicher Gedanken versunken, ungewöhnlich, weil es mehr als Gedanken<br />

waren; es waren vollständige Gefühlseinheiten, gleichzusetzen mit emotionellen<br />

Gewißheiten, unbestreitbare Beweise für die Art meiner Beziehung mit meiner<br />

Mutter. Irgendwann setzte dieser ungewöhnliche Gedankenstrom aus. Ich merkte,<br />

daß die Gedanken ihre Leichtflüssigkeit verloren hatten und nicht mehr vollständige<br />

Gefühlseinheiten waren. Ich hatte begonnen, an <strong>andere</strong> Dinge zu denken. Meine<br />

Gedanken schweiften ab. Ich dachte an <strong>andere</strong> Mitglieder meiner näheren Familie,<br />

aber diese Gedanken waren nicht von Bildern begleitet. Dann sah ich Don Juan an.<br />

Er stand aufrecht. Auch die <strong>andere</strong>n Männer standen, und dann gingen sie auf das<br />

Wasser zu. Ich trat zur Seite und stieß den Jungen an, der noch immer schlief.<br />

Kaum daß wir im Auto saßen, berichtete ich Don Juan von meiner verblüffenden<br />

Vision. Er lachte hocherfreut und sagte, meine Vision sei ein Zeichen, ein Omen, so<br />

wichtig wie meine erste Erfahrung mit Mescalito. Ich erinnerte mich daran, daß Don<br />

Juan, als ich das erstemal Peyote nahm, meine Reaktion als ein sehr wichtiges<br />

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