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Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia

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meinte, was er sagte.<br />

»Lyrisches Wissen, alle Achtung!« rief Don Juan, nachdem ich ihm die ganze<br />

Geschichte erzählt hatte. »Vicente ist ein brujo. Warum hast du ihn besucht?«<br />

Ich erinnerte ihn daran, daß er selbst mich aufgefordert hatte, Don Vicente zu<br />

besuchen.<br />

»Das ist absurd!« rief er aufgeregt. »Ich habe dir gesagt, daß du meinem Freund<br />

Vicente eines Tages, wenn du sehen könntest, einen Besuch abstatten solltest; nur<br />

das habe ich gesagt. Anscheinend hast du nicht zugehört.«<br />

Ich wandte ein, daß ich nichts dabei fände, Don Vicente besucht zu haben, und daß<br />

mich sein Verhalten und seine Freundlichkeit begeistert hätten.<br />

Don Juan wiegte den Kopf hin und her und drückte in halb scherzhaftem Ton seine<br />

Verwunderung darüber aus, was er »mein verblüffendes Glück« nannte. Er sagte,<br />

mein Besuch bei Don Vicente wäre dasselbe, als wollte man, nur mit einem Zweig<br />

bewaffnet, eine Löwenhöhle betreten. Don Juan schien erregt, aber ich sah beim<br />

besten Willen keinen Grund für seine Besorgnis. Don Vicente war ein wunderbarer<br />

Mann. Er wirkte so zerbrechlich; seine seltsam irrlichternden Augen gaben ihm ein<br />

beinah vergeistigtes Aussehen. Ich fragte Don Juan, wie ein so wunderbarer Mensch<br />

gefährlich sein konnte. »Du bist ein blutiger Narr«, sagte er mit ernstem Gesicht. »Er<br />

würde dir nicht absichtlich etwas zuleide tun. Aber Wissen ist Macht, und sobald sich<br />

ein Mann auf den Weg des Wissens begeben hat, ist er nicht mehr verantwortlich für<br />

das, was denen passieren mag, die mit ihm in Kontakt kommen. Du hättest ihn erst<br />

besuchen sollen, wenn du genug gewußt hättest, um dich zu verteidigen; nicht gegen<br />

ihn, sondern gegen die Macht, die er sich zunutze macht, welche, nebenbei gesagt,<br />

weder ihm noch sonst jemandem gehört. Als er hörte, daß du mein Freund bist,<br />

nahm Vicente an, daß du dich zu schützen wüßtest und machte dir daher ein<br />

Geschenk. Offenbar hatte er dich gern und gab dir ein großes Geschenk, und du<br />

hast es vergeudet. Wie schade!«<br />

24. Mai 1968<br />

Ich hatte Don Juan fast den ganzen Tag bedrängt, er solle mir etwas über Don<br />

Vicentes Geschenk sagen. Ich hatte ihm klarzumachen versucht, daß er nicht<br />

vergessen dürfe, wie verschieden wir seien; was für ihn selbstverständlich sei, könne<br />

für mich absolut unbegreiflich sein.<br />

»Wie viele Pflanzen hat er dir gegeben?« fragte er schließlich. »Vier«, sagte ich, aber<br />

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