Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia
Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia
Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
meinte, was er sagte.<br />
»Lyrisches Wissen, alle Achtung!« rief Don Juan, nachdem ich ihm die ganze<br />
Geschichte erzählt hatte. »Vicente ist ein brujo. Warum hast du ihn besucht?«<br />
Ich erinnerte ihn daran, daß er selbst mich aufgefordert hatte, Don Vicente zu<br />
besuchen.<br />
»Das ist absurd!« rief er aufgeregt. »Ich habe dir gesagt, daß du meinem Freund<br />
Vicente eines Tages, wenn du sehen könntest, einen Besuch abstatten solltest; nur<br />
das habe ich gesagt. Anscheinend hast du nicht zugehört.«<br />
Ich wandte ein, daß ich nichts dabei fände, Don Vicente besucht zu haben, und daß<br />
mich sein Verhalten und seine Freundlichkeit begeistert hätten.<br />
Don Juan wiegte den Kopf hin und her und drückte in halb scherzhaftem Ton seine<br />
Verwunderung darüber aus, was er »mein verblüffendes Glück« nannte. Er sagte,<br />
mein Besuch bei Don Vicente wäre dasselbe, als wollte man, nur mit einem Zweig<br />
bewaffnet, eine Löwenhöhle betreten. Don Juan schien erregt, aber ich sah beim<br />
besten Willen keinen Grund für seine Besorgnis. Don Vicente war ein wunderbarer<br />
Mann. Er wirkte so zerbrechlich; seine seltsam irrlichternden Augen gaben ihm ein<br />
beinah vergeistigtes Aussehen. Ich fragte Don Juan, wie ein so wunderbarer Mensch<br />
gefährlich sein konnte. »Du bist ein blutiger Narr«, sagte er mit ernstem Gesicht. »Er<br />
würde dir nicht absichtlich etwas zuleide tun. Aber Wissen ist Macht, und sobald sich<br />
ein Mann auf den Weg des Wissens begeben hat, ist er nicht mehr verantwortlich für<br />
das, was denen passieren mag, die mit ihm in Kontakt kommen. Du hättest ihn erst<br />
besuchen sollen, wenn du genug gewußt hättest, um dich zu verteidigen; nicht gegen<br />
ihn, sondern gegen die Macht, die er sich zunutze macht, welche, nebenbei gesagt,<br />
weder ihm noch sonst jemandem gehört. Als er hörte, daß du mein Freund bist,<br />
nahm Vicente an, daß du dich zu schützen wüßtest und machte dir daher ein<br />
Geschenk. Offenbar hatte er dich gern und gab dir ein großes Geschenk, und du<br />
hast es vergeudet. Wie schade!«<br />
24. Mai 1968<br />
Ich hatte Don Juan fast den ganzen Tag bedrängt, er solle mir etwas über Don<br />
Vicentes Geschenk sagen. Ich hatte ihm klarzumachen versucht, daß er nicht<br />
vergessen dürfe, wie verschieden wir seien; was für ihn selbstverständlich sei, könne<br />
für mich absolut unbegreiflich sein.<br />
»Wie viele Pflanzen hat er dir gegeben?« fragte er schließlich. »Vier«, sagte ich, aber<br />
Seite 30