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Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia

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kraftvoll und entschlossen sei, könnte ich sie zwingen, ihn in Ruhe zu lassen. Meine<br />

Treffsicherheit müsse einwandfrei sein, genau wie meine Entschlossenheit, sie<br />

aufzuspießen.<br />

»In dem Moment, wo du schießt, mußt du schreien«, sagte er. »Es muß ein kräftiger<br />

und durchdringender Schrei sein.« Dann häufte er, etwa drei Meter von der ramada<br />

entfernt, .einige Bündel Bambus und Feuerholz auf. Ich sollte mich gegen den<br />

Haufen lehnen. Ich saß in einer recht bequemen, halb sitzenden Stellung; mein<br />

Rücken war abgestützt, und ich hatte einen guten Ausblick auf das Dach. Er sagte,<br />

noch sei es für die Hexe zu früh zu kommen, und bis zur Dämmerung müßten wir alle<br />

Vorbereitungen getroffen haben; er würde dann so tun, als schlösse er sich im Haus<br />

ein, um sie anzulocken und zu einem neuen Angriff auf ihn herauszufordern. Er sagte<br />

mir, ich solle mich entspannen und eine bequeme Stellung finden, aus der ich<br />

schießen konnte, ohne mich zu bewegen. Er ließ mich einige Male auf das Dach<br />

zielen und stellte fest, daß die Bewegung, mit der ich das Gewehr an die Schulter<br />

hob und zielte, zu langsam und schwerfällig war. Daraufhin baute er eine Stütze für<br />

das Gewehr. Mit einer spitzen Eisenstange grub er zwei tiefe Löcher, in denen er<br />

zwei Astgabeln verankerte, und dann band er eine lange Stange zwischen den<br />

Gabeln fest. Diese Konstruktion diente mir als Schießauflage und erlaubte mir, das<br />

Gewehr aufs Dach gerichtet zu halten. Don Juan sah zum Himmel und sagte, es sei<br />

Zeit für ihn, ins Haus zu gehen. Er stand auf und ging langsam hinein, nachdem er<br />

mich zum letztenmal ermahnt hatte, daß mein Vorhaben eine ernste Angelegenheit<br />

sei und ich den Vogel mit dem ersten Schuß erwischen mußte.<br />

Nachdem Don Juan gegangen war, herrschte noch für einige Minuten Zwielicht, und<br />

dann wurde es vollends dunkel. Es schien, als habe die Dunkelheit nur gewartet, bis<br />

ich allein sei, um mich dann plötzlich zu überfallen. Ich versuchte meine Augen auf<br />

das Dach zu konzentrieren, dessen Umriß sich gegen den Himmel abhob. Einige Zeit<br />

war der Horizont noch hell genug, so daß ich die Silhouette des Daches noch<br />

deutlich sehen konnte, aber dann wurde der Himmel pechschwarz, und ich konnte<br />

das Haus kaum noch ausmachen. Stundenlang hielt ich die Augen aufs Dach<br />

gerichtet, ohne etwas zu bemerken. Ein paar Eulen flogen in nördlicher Richtung<br />

vorüber; ihre Flügel hatten eine bemerkenswerte Spannweite, man konnte sie nicht<br />

mit Amseln verwechseln. Irgendwann je<strong>do</strong>ch bemerkte ich eindeutig den schwarzen<br />

Schatten eines kleinen Vogels, der auf dem Dach landete. Es war zweifellos ein<br />

Vogel! Mein Herz schlug schneller. Meine Ohren summten. Ich zielte im Finstern und<br />

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