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Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia

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den Händen bedecken und meine Knie in hockender Stellung fest gegen den Körper<br />

drücken. Wir saßen eine Weile schweigend beisammen, und dann sagte er, daß er<br />

von nun an wirklich aufhören wollte, mir etwas zu erklären, weil man nur durch<br />

Handeln ein Zauberer werden könne. Er riet mir, sofort abzufahren, denn sonst<br />

würde Don Genaro mich bei seinem Versuch, mir zu helfen, wahrscheinlich töten.<br />

»Du wirst deine Richtung ändern«, sagte er, »und du wirst deine Fesseln sprengen.«<br />

Er sagte, daß es an seinen oder Don Genaros Handlungen nichts zu verstehen gab<br />

und daß Zauberer eben außerordentliche Taten vollbringen konnten.<br />

»Genaro und ich, wir handeln von hier aus«, sagte er und deutete auf eines der<br />

Strahlenzentren seiner Zeichnung. »Und es ist nicht das Zentrum des Verstehens,<br />

aber du weißt, was es ist.«<br />

Ich wollte sagen, daß ich nicht ganz verstünde, worüber er sprach, aber er ließ mir<br />

keine Zeit dazu, stand auf und gab mir ein Zeichen, ihm zu folgen. Er ging sehr<br />

schnell, und in kürzester Zeit geriet ich außer Atem, kam ins Schwitzen, als ich<br />

versuchte, mit ihm Schritt zu halten.<br />

Als wir ins Auto stiegen, sah ich mich nach Don Genaro um.<br />

»Wo ist er?« fragte ich. »Du weißt, wo er ist«, fuhr Don Juan mich an.<br />

Bevor ich abfuhr, setzte ich mich neben ihn, wie ich es immer mache. Ich hatte ein<br />

überwältigendes Verlangen, ihn um Erklärungen zu bitten. Wie Don Juan sagt, sind<br />

Erklärungen meine Leidenschaft.<br />

»Wo ist Don Genaro?« fragte ich vorsichtig. »Du weißt, wo er ist«, sagte er. »Aber du<br />

versagst jedesmal zu verstehen, weil du darauf beharrst. Gestern abend zum<br />

Beispiel wußtest du, daß Genaro die ganze Zeit hinter dir war; du hast dich sogar<br />

umgedreht und ihn gesehen.« »Nein«, protestierte ich. »Nein, das wußte ich nicht.«<br />

Das meinte ich aufrichtig. Mein Verstand weigerte sich, solche Sinnesreize als »real«<br />

aufzufassen, und <strong>do</strong>ch: nach zehn Jahren der Lehrzeit bei Don Juan konnte mein<br />

Verstand nicht mehr die alten Kriterien dessen, was real ist, aufrechterhalten. All die<br />

Spekulationen, die ich bis dahin über das Wesen der Realität angestellt hatte, waren<br />

je<strong>do</strong>ch reine intellektuelle Spielereien gewesen; der Beweis dafür war, daß mein<br />

Verstand unter dem Druck Don Juans und Don Genaros Handlungen in eine<br />

Sackgasse geraten war.<br />

Don Juan sah mich an, und in seinen Augen lag so viel Traurigkeit, daß ich zu<br />

weinen begann. Die Tränen flössen ungehemmt. Zum ersten Mal im Leben spürte ich<br />

das hemmende Gewicht meiner Vernunft. Mich befiel eine unglaubliche Seelenqual.<br />

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