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Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia

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ich das Blatt immer wieder fallen sah. Ich sagte, daß dies meiner Vernunft zufolge<br />

unmöglich sei. Don Juan sagte, daß seine Vernunft ihm dasselbe sage, und <strong>do</strong>ch<br />

hätte ich selbst das Blatt immer wieder fallen sehen. Dann wandte er sich an Don<br />

Genaro. »Ist es nicht so?« fragte er.<br />

Don Genaro antwortete nicht. Er fixierte mich mit den Augen.<br />

»Es ist unmöglich!« sagte ich.<br />

»Du bist gefesselt!« rief Don Juan. »Du bist an deine Vernunft gefesselt.«<br />

Er erklärte, das Blatt sei immer wieder vom gleichen Baum gefallen, damit ich den<br />

Versuch, zu verstehen, aufgeben würde. In vertraulichem Ton sagte er, daß ich alles<br />

klar und ersichtlich vor Augen hätte und <strong>do</strong>ch würde ich am Schluß immer wieder von<br />

meinem Wahn geblendet. »Da gibt es nichts zu verstehen. Verstehen ist nur eine<br />

unbedeutende Sache, ach so unbedeutend«, sagte er. In dem Moment stand Don<br />

Genaro auf. Er warf Don Juan einen schnellen Blick zu; ihre Augen trafen sich und<br />

Don Juan sah wieder zu Boden. Don Genaro stand vor mir und begann, seine Arme<br />

zu beiden Seiten gleichzeitig vor und zurück zu schwingen.<br />

»Schau, kleiner <strong>Carlos</strong>«, sagte er. »Schau! Schau!« Er machte ein außerordentlich<br />

scharfes, schwirrendes Geräusch. Es klang, als würde etwas reißen. Genau in dem<br />

Moment, als ich das Geräusch vernahm, hatte ich ein Gefühl der Leere im Unterleib.<br />

Es war ein furchtbar peinigendes Gefühl des Fallens, nicht schmerzhaft, aber recht<br />

unangenehm und aufreibend. Es dauerte ein paar Sekunden und klang dann ab,<br />

wobei es ein seltsames Jucken in meinen Knien zurückließ. Aber solange dieses<br />

Gefühl anhielt, nahm ich ein <strong>andere</strong>s unglaubliches Phänomen wahr. Ich sah Don<br />

Genaro auf dem Gipfel eines Gebirges, das vielleicht zehn Meilen entfernt war. Die<br />

Erscheinung dauerte nur wenige Sekunden und trat so unerwartet auf, daß ich nicht<br />

die Zeit hatte, sie genauer zu überprüfen. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich eine<br />

Figur in Menschengröße oder ein verkleinertes Abbild Don Genaros auf dem<br />

Berggipfel hatte stehen sehen. Ich kann mich nicht mal erinnern, ob es Don Genaro<br />

war oder nicht. Doch in jenem Augenblick selbst war ich ohne jeden Zweifel sicher,<br />

daß ich ihn auf dem Berggipfel stehen sah. Kaum kam mir je<strong>do</strong>ch der Gedanke, daß<br />

ich unmöglich einen Menschen über zehn Meilen Entfernung sehen konnte, da<br />

verschwand die Erscheinung. Ich drehte mich um und suchte Don Genaro, aber er<br />

war nicht da. Meine Verwirrung war so ungewöhnlich wie alles <strong>andere</strong>, was mir<br />

geschah. Diese Belastung war zuviel für meinen Verstand. Ich war vollkommen<br />

desorientiert. Don Juan stand auf und ließ mich den unteren Teil meines Leibes mit<br />

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