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Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit.do - Sapientia

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Federn, seinem dunklen Poncho und den nackten Füßen der schönste Mensch war,<br />

den ich je gesehen hatte.<br />

Plötzlich warf er die Arme empor, hob den Kopf und schnellte mit einer Art seitlichem<br />

Salto nach links. Er hatte auf einem runden Felsen gestanden, hinter dem er mit<br />

seinem Sprung verschwunden war.<br />

In diesem Augenblick fielen riesige Regentropfen vom Himmel. Don Juan stand auf,<br />

und die beiden jungen Männer taten dasselbe. Sie bewegten sich so abrupt, daß es<br />

mich verwirrte. Don Genaros meisterhafte Leistung hatte mich in einen Zustand tiefer<br />

emotioneller Erregung versetzt. Ich hielt ihn für einen vollkommenen Künstler und<br />

wollte ihn sofort sehen, um ihm Beifall zu spenden.<br />

Ich spähte angestrengt zur linken Seite des Wasserfalls, um zu sehen, ob er<br />

herunterkam, aber das war nicht der Fall. Ich wollte unbedingt wissen, was mit ihm<br />

geschehen war. Don Juan antwortete nicht.<br />

»Wir sollten lieber schnell von hier verschwinden«, sagte er. »Es ist ein regelrechter<br />

Wolkenbruch. Wir müssen Nestor und Pablito zu Hause absetzen, und dann müssen<br />

wir uns auf die Rückreise machen.«<br />

»Und ich habe Don Genaro nicht mal Aufwiedersehn gesagt«, beschwerte ich mich.<br />

»Er hat dir schon Aufwiedersehn gesagt«, antwortete Don Juan knapp. Er schaute<br />

mich einen Moment an, und dann verschwand seine düstere Miene und er lächelte.<br />

»Er hat dir auch alles Gute gewünscht«, sagte er. »Er hat sich gefreut, dich zu<br />

sehen.«<br />

»Aber wollen wir nicht auf ihn warten?«<br />

»Nein«, sagte Don Juan scharf. »Laß ihn, wo er ist. Vielleicht ist er ein Adler, der in<br />

die <strong>andere</strong> Welt fliegt, oder vielleicht ist er <strong>do</strong>rt oben gestorben. Das ist jetzt<br />

gleichgültig.«<br />

23. Oktober 1968<br />

Don Juan erwähnte beiläufig, daß wir bald wieder eine Fahrt nach Zentralmexiko<br />

unternehmen würden. »Willst du Don Genaro besuchen?« fragte ich. »Vielleicht«,<br />

sagte er, ohne mich anzuschauen. »Es geht ihm <strong>do</strong>ch gut, nicht wahr, Don Juan? Ich<br />

meine, es ist ihm da oben am Wasserfall nichts passiert, oder?« »Ihm ist nichts<br />

passiert; er ist robust.«<br />

Wir sprachen eine Weile über die geplante Reise, und ich sagte, daß ich Don<br />

Genaros Gesellschaft und seine Späße sehr genossen hatte. Er lachte und sagte,<br />

Don Genaro sei wirklich wie ein Kind. Dann entstand eine lange Pause. Ich strengte<br />

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