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Lesen - Ulrich Horstmann

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Kombattanten vorgelebt hatten. In Ruhe nehmen wir das Abendbrot ein, und wieder gibt ein<br />

Wort das andere. Wenn unser Meinungsaustausch eine Konsultation oder ein Dienstgespräch<br />

gewesen wäre, von einem Verhör ganz zu schweigen, hätte das Ergebnisprotokoll zumindest<br />

folgende Punkte festgehalten:<br />

Der Unterzeichnete erkennt den Ernst der Lage und seine labile körperliche und seelische<br />

Verfassung. Er erklärt sich bereit, auf die gestrige Grenzsituation mit mehrwöchiger<br />

freiwilliger Schonung zu reagieren. Dazu wird das Arbeitspensum am Roman auf eine<br />

Dreiviertelstunde (45 Minuten) am Tag begrenzt. Stimulanzien in jeder Form sind abzusetzen.<br />

Die gewonnene Zeit wird für körperliche Ertüchtigung (Spazierengehen, Radfahren,<br />

Schwimmen etc.) genutzt, die Ernährung auf eine regelmäßige, schmackhafte, obst- und<br />

gemüsereiche Selbstversorgung umgestellt. Inner- und außerfamiliäre Streßfaktoren sind zu<br />

minimieren. Im Fall von Verwandten ersten Grades erscheint dabei das erneute Einfrieren der<br />

Kontakte legitim, bei Nichten und Neffen ist auf eine eigeninitiative Problembewältigung<br />

der/des Betroffenen und die Selbstheilungskräfte jugendlicher Vitalität zu setzen.<br />

Ich erstatte meiner Samariterin ihre Unkosten und verspreche regelmäßige Rückmeldung,<br />

weil sie mich sonst jenen Kollegen zu überantworten droht, die von Tiermedizin keine<br />

Ahnung haben und nichts für Pegasus tun können. Zum Abschied glaube ich, ihr eine<br />

Umarmung schuldig zu sein, bei der ich fast unter ihrer Achselhöhle hindurchtauchen kann.<br />

Aber statt des Fingers will sie die ganze Hand, d.h. nicht nur die Küche, sondern auch die<br />

anderen Zimmer in Augenschein nehmen. Da geht mir auf, daß sie nicht aus Besorgnis<br />

gekommen ist, nicht aus Freundschaft mit dem Zug zurückfährt und daß auch der Eid des<br />

Hippopotamus, oder was Veterinäre sonst ablegen, sie nicht umtreibt. Wem ich jetzt die<br />

Türen weitmache, das ist vielmehr die Quartiermacherin für die Lädierten, die vom Himmel<br />

hoch kommen, und wenn ich nicht höllisch aufpasse, habe ich danach die halbe Marburger<br />

Apus apus-Brut am Hals.<br />

Wir sind eben wieder im Flur angekommen, als es klingelt. Vor der Tür steht die Polizei,<br />

diesmal in echt: uniformlos zwar, dafür aber mit Dienstausweis. Ob man mir ein paar Fragen<br />

stellen dürfe? Ich habe nichts zu verbergen - außer meiner ostentativ am Haken prangenden<br />

Holzfällerjacke. Wie die Mauersegler kurven wir zurück in die Küche.<br />

Betty, die sich als befreundete Ärztin vorgestellt hat, weist nachdrücklich auf meinen<br />

angegriffenen Gesundheitszustand hin. Der Mann verspricht, es kurz zu machen. Ob Frau<br />

Elisabeth <strong>Horstmann</strong>, die man in Amtshilfe für die St. Moritzer Kollegen einvernehmen<br />

möchte, hier wohne, denn gemeldet sei sie ja noch anderswo.<br />

"Nicht mehr", sage ich.<br />

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