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Lesen - Ulrich Horstmann

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"Klassische Dreiteilung auf dem Schlachtfeld. Erstens die Schwerstverletzten. Die<br />

werden abgeschrieben, können sich aber bei uns noch spendabel zeigen. Zweitens die<br />

Leichtblessierten. Die landen ohne Eile in der Marburger Ambulanz. Und an dritter Stelle die<br />

dazwischen, d.h. die nur bei fachmännischer ärztlicher Versorgung Überlebensfähigen. Die<br />

bitte ich mir für Frankfurt aus."<br />

"Schön ausgedacht", wirft Lizzie ein, "aber wir kommen schon jetzt nicht mehr rund.<br />

Oompie hat es nämlich mit der Feder und nicht mit den Federn."<br />

"Ich tue, was ich kann."<br />

Betty spreizt abwehrend die Finger. "Alles arrangiert. Nur noch eine Viertelstunde<br />

Geduld. Um acht steht die Lösung vor der Tür."<br />

LI.<br />

Da bin ich aber gespannt.<br />

"Und denk dran, wir sitzen alle in einem Boot", erinnert mich Betty, während sie die in ein<br />

Seidentaschentuch gehüllte Fraktur füttert und ich den Flur überquere, um zu öffnen.<br />

"Falsch", entfährt es mir, als ich sehe, wer aufgekreuzt ist, "wir sitzen alle auf dem Floß<br />

der Medusa."<br />

"Het ek hom weer oorrompel, kêrel?" erkundigt es sich höhnisch.<br />

"Los my uit", pariere ich und will die beiden unwillkommenen Gäste gleich wieder<br />

aussperren, aber meine Verlegerin braucht im Gegensatz zu Ordnungshütern nicht einmal<br />

einen Fuß in der Tür, um ein Einschnappen des Schlosses, wenn auch nicht des<br />

Wohnungsinhabers, zu verhindern. Die Oberarmmuskulatur regelt den Rest.<br />

"Komm doch rein, Anna", rufe ich ihr hinterher, bevor sie mit ihrer Begleiterin, die mir<br />

immerhin zugenickt hat, im hospitalisierten Wohnzimmer verschwindet.<br />

Welche Optionen habe ich überhaupt, überlege ich mir, während ich im Nachgang mit<br />

möglichst kleinen, möglichst bedächtigen Schritten Fuß vor Fuß setze. Ich kann gegen den<br />

halben Hausfriedensbruch aufbegehren und mir die Anregung einhandeln, doch die Polizei zu<br />

rufen. Oder ich biege in mein Arbeitszimmer ab, knalle wenigstens dort die Tür, lasse mich<br />

nicht mehr blicken - und bekomme dann auch nichts von dem Komplott mit, das womöglich<br />

gegen mich geschmiedet wird. Oder ich mache gute Miene zum bösen Spiel und betrachte<br />

mich als Konferenzteilnehmer wie alle anderen. Auch eine Triage, wenn man so will. Ich<br />

entscheide mich mit zusammengebissenen Zähnen für das leichtverletzte Erklimmen des<br />

Feldherrenhügels.<br />

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