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Lesen - Ulrich Horstmann

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Februar angeblich bereits acht Varianten angeboten wurden. Der zumindest anfänglich<br />

handverlesene und einflußreiche Kundenkreis sorgte aber auch dafür, daß die Crystal-Szene<br />

erst sehr spät von der Polizei beobachtet und infiltiert wurde, zu spät, um Todesfälle zu<br />

verhindern, als einige Hersteller wegen des Qualitätsdrucks versuchten, auf Breitenwirkung<br />

und Massenkonsum umzustellen. Inzwischen seien vier Produktionsstätten aufgeflogen,<br />

darunter die in einem von einem Marburger Hochschulassistenten angemieteten Chalet. Der<br />

Mitarbeiter des hiesigen Institut für Anorganische Chemie sei zur Zeit nicht auffindbar und<br />

werde auch auf diesem Wege dringend ersucht, sich umgehend mit den Schweizer<br />

Ermittlungsbehörden in Verbindung zu setzen.<br />

Ich werde schnell, schneller. Ich überhole mich selbst. Was stand noch auf Lizzies Karte?<br />

Das Mannweib. Dieser Assistent stand drauf. Schon klar. Und geschminkt. Ja doch! Aber<br />

hinten drauf? Nein! Nicht auf dem kostümierten naaier, auf der Mitteilung. Wo ist die<br />

überhaupt? Ruhig! Ruhig Blut! "Alles sal regkom", erklärt Skunkie direkt neben mir. Ich fahre<br />

herum. Keiner da. "Stuur goete aan jou niggiekind", sagt Koos von links. Ich winke ab, ohne<br />

das akustische Phantom eines Blickes zu würdigen. "Helft mir lieber suchen". "Die<br />

poskaart?" fragt Skunkie selten dämlich aus dem Nebenzimmer. Es ist nichts da. Nichts zu<br />

machen. Ich muß die Karte mit der ungeöffneten Post, mit den ungelesenen Zeitungen<br />

entsorgt haben. Halb bewußtlos während des Schreibschubs, wie das so geht. Ich sacke in den<br />

Sessel. Das Blut rauscht in den Ohren. Dann pfeift was. Tinnitus hilf! Prost Mahlzeit!<br />

Aber es ist Koos, der pfeift. Zwei Türen weiter. "Ek het haar, Olie. Sal ek dit lees?" Ich<br />

nicke ergeben. Er räuspert sich irgendwo im Unsichtbaren und legt dann los auf Deutsch-<br />

Afrikaans: "... Saus und Braus. Habe mich zum Beweis mit Nikki abnehmen lassen. Fahre in<br />

paar Tagen zu den Altvorderen weiter - zwecks Auf- und Abrüstung. Bin im März zurück.<br />

Dann geht der Spuk weiter. Goedgaan! Lizzie." "Baie dankie, Koos; baie dankie, Flip",<br />

zitiere ich das Sprachlehrbuch, an dem ich mich die ersten Wochen in Südafrika<br />

entlanggehangelt habe. Verrückterweise verstehen sie die Anspielung und machen<br />

zweistimmig weiter im Text: "Plesier, boetie, en mooi loop!" "Mooi bly!" bringe ich die<br />

Lektion zu Ende, obwohl es in Wirklichkeit doch genau umgekehrt ist und sie verschwinden,<br />

während ich bleibe.<br />

Da sehe ich sie also schon laufen. Mein Blutdruck reicht problemlos für zwei puterrote<br />

Köpfe. Dabei fällt mir ein, ich muß auf der Stelle die ewigen Streithansel anrufen und in<br />

Erfahrung bringen, ob Lizzie heil bei meinem Bruder und meiner Schwägerin angekommen<br />

ist. Gedacht, getan. Aber das Telefon ist tot.<br />

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