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Lesen - Ulrich Horstmann

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XXV.<br />

Die Unternehmungslust, die langsam wiederkehrt, haben andere Familienmitglieder nie<br />

verloren. Noch während des Abflauens meiner häuslichen Robinsonade findet sich eine Karte<br />

im Briefkasten, auf der vor fassadenmalerisch verschneiter Alpenkulisse zwei höhere Töchter<br />

in wilhelminischen Winterkostümen abgebildet sind und ein St. Moritzer Fotostudio für seine<br />

"Schußfahrt in die Geschichte" wirbt. Sensibilisiert durch Wiesekopsiekers ungetürkte<br />

Konterfeis sehe ich mir Lizzies auf der Bank plazierte Begleiterin etwas genauer an und<br />

schrecke auch vor einer lupenreinen Visitation nicht zurück. Was da vollbusig tailliert und mit<br />

sittsam unter dem knielangen Rock zusammengeführten und angewinkelten Beinen posiert,<br />

ist ein Mann.<br />

"Liewe oompie (richtig so?)", steht auf der Rückseite, "der Schnee stiebt. Leben hier in<br />

Saus und Braus. Habe mich zum Beweis mit Nikki abnehmen lassen. Fahre in ein paar Tagen<br />

zu den Altvorderen weiter - zwecks Auf- und Abrüstung. Bin im März zurück. Dann geht der<br />

Spuk weiter. Goedgaan! Lizzie."<br />

Ich muß auch mein St. Moritz finden, den Ort, wo die Post abgeht. Und zwar dringend.<br />

Sonst versinkt das südafrikanische Jahr hinter dem Horizont, verwehen die ohnehin kaum<br />

noch leserlichen Spuren, die Heinrich Wilhelm <strong>Horstmann</strong> dort vor über einem Jahrhundert<br />

hinterlassen hat, auf Nimmerwiedersehen. Aber wie kommt man ran? In Hessen? Im<br />

Schneeregen, unter dem sich die Winterlinge an den Boden ducken, als wären sie nicht da?<br />

Das Arbeitszimmer macht seinem Namen nach wie vor wenig Ehre, womöglich weil eine<br />

andere Ortsbezeichnung auf der Schreibtischplatte steht. Ich wische sie weg. Ich lasse die<br />

Heizung blubbern, damit das sekundärliterarische Parlando übertönt wird und sich meine<br />

Poren öffnen wie in Ellisras. Tevergeefs, umsonst. Das Okay der Schweißdrüsen reicht nicht.<br />

Wahrscheinlich braucht es zur Einstimmung noch andere, zum Beispiel optische Reize oder<br />

die richtigen Gerüche oder beides zusammen. Und warum dann nicht gleich das Original?<br />

Rein in den Flieger, die Reifen aufgepumpt und durchgewinkt werden bei der Paßkontrolle,<br />

weil man ein alter Bekannter ist und Afrikaanstalig noch dazu? - Wegen Grootegeluk,<br />

Herrschaften, weil die erste Version genau da in die Grube gefahren ist, wo sie spielt, in<br />

Südafrika nämlich. Literatur, die nachstellt, braucht eine nachgestellte Umwelt. Das ist des<br />

Rätsels Lösung. Aber wo findet sich diese beflügelnde Reproduktion, das künstliche Kap und<br />

alles, was daran hängt? Ich schlage mir vor den Kopf, als hätte sich dort eine ganze<br />

Moskitowolke niedergelassen. In dem nach wie vor leicht tauben Ohr höre ich Koos über den<br />

Volltreffer lachen, so wie er sich am Abschiedsabend über Skunkies Schlagfertigkeit<br />

ausgeschüttet hatte.<br />

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