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Lesen - Ulrich Horstmann

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den Brieftauben, die der britische Kommandant anfänglich sogar noch paarweise aufsteigen<br />

ließ, ging es noch schneller. Das lag an der Treffsicherheit einiger Bürger, die ein regelrechtes<br />

Wettschießen auf die geflügelten Kuriere veranstalteten und deren Trefferquote dafür sorgte,<br />

daß postwendend nur noch Nachtflüge stattfanden.<br />

Am 25. Dezember wurde zur Feier des kersfees das im Museum ausgestellte mit Pudding<br />

gefüllte Geschoß Richtung Main Street gefeuert, ein Ereignis, das in der Neujahrsausgabe der<br />

Belagerungszeitung wegen etlicher der Leckerei beigefügter Spottverse nicht auf christliche<br />

Gegenliebe stieß. Danach war das, was für Ablenkung sorgen konnte, aufgebraucht, wenn<br />

man von dem ewigen Geblitze und Gefunkel der Heliographen absah, die die Buren auf den<br />

umgebenden Bergrücken, die Engländer auf dem einzigen Koppie im Kessel installiert hatten.<br />

Die mobilen, schnell aufgebauten und mühsam justierten Spiegel dienten der<br />

Nachrichtenübermittlung wie die Brieftauben, und es war diesem Vorläufer der drahtlosen<br />

Telegraphie zu verdanken, daß die Eingeschlossenen über den stockenden Vormarsch der<br />

Armee von General Buller besser im Bilde waren, als ihnen guttat.<br />

Ihre Hoffnungen wurden auf eine Probe gestellt, die womöglich härter und strapaziöser<br />

ist als selbst die Enttäuschung, nämlich die endloser Vertagung. Das einzige, was in der Zeit<br />

des Hingehaltenwerdens zur Stelle war, erst in Einzelfällen, dann tagtäglich und dutzendfach,<br />

griff nicht von außen, sondern aus den eigenen Eingeweiden heraus an und hieß Typhus und<br />

Ruhr. Es war Hochsommer. Ladysmith roch sehr undamenhaft; was vom Fluß übrig war,<br />

stank, und der Auswurf der Höhlen hielt mühelos dagegen. Das britische Lager hätte eine<br />

Abreibung mit Sunlight Soap bitter nötig gehabt und wohl kaum einer seiner Insassen der<br />

Einladung von William Hesketh Lever widerstanden, eine Nacht in seinem verschneiten<br />

Doppelbett zu verbringen. Die meisten Buren dagegen waren an das Leben und Überleben im<br />

Freien gewöhnt, nur eben nicht en masse, so daß auch bei ihnen die Zahl der Seuchenopfer<br />

sehr bald die der durch direkte Feindberührung Getöteten überstieg.<br />

Ob Jacobus und sein ostwestfälischer agterryer gesund durch die schlimmsten<br />

Belagerungswochen gekommen sind, ob der eine den anderen pflegen mußte oder ob sie<br />

beide die Hosen voll hatten, das Zelt zustänkerten und auf fremde Hilfe angewiesen waren,<br />

weiß der Himmel. Für mich war die Tatsache, daß auch mein Imaginations-Tonikum auf<br />

Averna-Basis nach drei, vier Tagen durchschlug und mir neben den erwünschten Einsichten<br />

Koliken und das Gegenteil von Darmträgheit bescherte, Anverwandlung und mimetischer<br />

Nachvollzug genug. Ich wollte es nicht genauer wissen, nicht exakter nachspüren. Mir<br />

genügte vollauf, daß beide am 28. Februar 1900 - wiederhergestellt oder nie krank gewesen -<br />

mühelos in die Steigbügel kamen, als es überall hinter den Gräben "Opsaal!" hieß. Buller war<br />

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