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Lesen - Ulrich Horstmann

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Angesichts die Wildnis urbar machten und die Hottentotten zur Vernunft brächten, hätte sich<br />

die Firma entschlossen, sechs der besten, der mutigsten 'Hoffmänner' nach Durban zu<br />

entsenden, um dort gegen alle Widerstände und Rivalitäten ein Aufbauwerk zu leisten, von<br />

dem in Salzuflen noch die Kinder und Kindeskinder erzählen würden. "Mit starker Hand",<br />

schließt Leberecht Hoffmann, "für ein gestärktes Afrika!"<br />

Applaus und Hurra-Rufe, während der Direktor die kurze Reihe der sechs Auserwählten<br />

abschreitet und am Ende auch dir die Hand auf die Schulter legt und die Rechte schüttelt, bei<br />

der du den kleinen Finger hinter den Ringfinger geschoben hast, damit ihm die Blessur nicht<br />

auffällt. Dann ist die Werkskapelle an der Reihe.<br />

Die Pauke wummert los, dröhnt so laut, daß ich sie auf der Gesichtshaut zu spüren<br />

glaube. Schlag für Schlag. Aber es ist nicht das Lärminstrument, sondern Lizzie, die mich mit<br />

ein paar therapeutischen Ohrfeigen und einem Glas Wasser in die Wirklichkeit zurückholt.<br />

"Der Arsch", schimpft sie, "der sieht Sterne, wenn ich ihn in die Finger kriege."<br />

Ich sehe sie jetzt schon. "Glaub ich gerne", bringe ich heraus, "aber ..."<br />

"Kommilitone, Freund des Hauses, Witzbold, du weißt schon." Ich nicke fügsam. "Hat<br />

mir schon mal was untergemixt. So eine Art K.o.-Tropfen; die Hälfte der Partygäste konnten<br />

wir auf dem Balkon stapeln."<br />

"Der Averna?"<br />

Sie schnuppert an ihrem fast unberührten Glas. Nickt dann, steht auf, greift zur Flasche:<br />

"Ich kipp's in den Ausguß, bevor das Zeug noch mehr Schaden anrichtet."<br />

Da bin ich ihr, Schwäche hin, kalter Schweiß her, auch schon in den Arm gefallen: "Um<br />

Gottes willen, Vorsicht mit dem Elixier. Das bekommt Sicherheitsverwahrung. Das schließen<br />

wir gleich weg." Und ich erzähle ihr, was ich gesehen habe.<br />

Sie schüttelt den Kopf: "Komisch, daß so was bei dir halluzinogene Wirkungen hat. Du<br />

bist mir ein pharmazeutisches Rätsel. Zeig mal deine Pupillen."<br />

Sie setzt sich auf die Sessellehne und blickt mir in die Augen. Ich konzentriere mich auf<br />

die Schramme. Dann zuckt sie mit den Schultern. "Naja, hier spukt es sowieso. Freitagnacht<br />

nuschelst du etwas aus dem Arbeitszimmer, obwohl du weit weg über den Wolken schwebst.<br />

Dafür lösen sich im Flur Kleidungsstücke in Luft auf ..."<br />

"Stimmt, Lizzie. Und drittens ist in einem seit einem Jahr abgeschlossenen Raum, in dem<br />

der Staub fingerhoch liegt, auch noch das Fenster geputzt."<br />

Wir sehen uns an. Aber schon taucht meine Nichte ihren kleinen Finger in das<br />

Avernaglas und schreibt etwas auf die Tischplatte. Kopfstehend sind die Dinge schwer zu<br />

entziffern. Aber ich buchstabiere schon mal mit: "Überall ist ..." Dann kippt ihr das Glas um.<br />

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