Lesen - Ulrich Horstmann

"Wenn das ein fauler Trick ist, ..." will mir der Hörer noch nachsagen, bevor auch er,
ganz so wie Lizzie nebenan, wieder in der Waagerechten landet.
XLII.
Fast im Sekundenabstand holen sich die beiden Konkurrenten am nächsten Morgen die exakt
gleiche Information ab. Dann heißt es, sich in Geduld üben - für Lizzie, deren Gehversuche
immer noch in Schweißausbrüchen und auf den nächstbesten Sitzgelegenheiten enden, und
für mich, der sich auf den Lokalteil der Tageszeitung stürzt, als fänden sich weltbewegende
Nachrichten darin.
Die Redaktion sieht das anders und läßt sich Zeit, überzieht um einen, zwei Tage. Dann
aber rückt sie einen Dreispalter ein, der mich und die weit weniger beteiligte Restleserschaft
so haarklein ins Bild setzt, wie man sich das nur wünschen kann.
"Hitziger Streit am Feuerlöschteich" lautet die Überschrift, auf die zu Beginn des Artikels
die Ortsangabe Cyriaxweimar folgt. "In den Vormittagsstunden des vergangenen Mittwoch
wurde das Ufer des Feuerlöschteichs im beschaulichen Cyriaxweimar Schauplatz einer Kette
bis heute nicht völlig aufgeklärter Auseinandersetzungen", eröffnet der Verfasser. "Die
unheimliche Serie begann mit der grundlosen Beschimpfung eines Cyriaxweimarer Bürgers
durch einen Unbekannten, der behauptete, der Einheimische trage seine Lederjacke. Als der
als 'übernervös' beschriebene Mann 'das Ende des Schaulaufens' verkündete und handgreiflich
zu werden drohte, tauchte hinter dem Schilfgürtel ein zweiter Ortsfremder auf, der ein Paket
trug und beim Anblick der beiden Streitenden die Flucht ergriff. Aufgrund seines
verschlammten Schuhwerks, der durchnässten Hosenbeine sowie des triefenden Kartons ist
davon auszugehen, daß der Weiher als Versteck für Diebesgut oder illegale Ware gedient hat,
die von ihm abtransportiert werden sollte. Womöglich war aber auch der zweite Fremde mit
diesem Auftrag unterwegs gewesen, bevor er sich von dem Kleidungsstück ablenken ließ,
denn es entwickelte sich nicht nur ein wildes Gerangel um das Paket, sondern auch noch eine
Messerstecherei, in deren Verlauf die Verpackung Schaden nahm. Gleichzeitig traf eine
zweite Zeugin am Tatort ein, welche in Cyriaxweimar einen renommierten Verlag betreibt
und ihren morgendlichen Fitness-Parcours absolvierte. 'Ich gebe auch
Selbstverteidigungskurse für Frauen', erklärte sie der Redaktion auf Anfrage, 'und hatte nichts
gegen das Zusatztraining unter Ernstfallbedingungen.' Die weibliche Wehrhaftigkeit dürfte für
das glimpfliche Ende der mysteriösen Geschichte verantwortlich sein. Die Messer landeten im
Wasser, die Kuriere mußten jeder ein paar Karateschläge einstecken, klaubten dann aus dem
aufgeschlitzten Paket, was sie zu fassen bekamen, und suchten blitzartig das Weite. Die
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