Lesen - Ulrich Horstmann

zumal ihr durch das lautstarke Einsetzen des Ventilators unter dem Glasdach noch einiger
Nachdruck verliehen wird. Nein, auch hier ist er nicht, der Ort für südafrikanische
Reminiszenzen und Erquicklichkeiten. Wo aber dann? Das Outback-Haus bleibt als vorletzte
Möglichkeit; allerdings stiehlt sich von dort die Traumzeit ins 19. Jahrhundert und zwischen
die Handvoll skelettierter Fakten über HWH, die noch auszugraben sind. Phantasmen aber
kann ich nicht brauchen, Ahnenkult nicht und keine frommen Wünsche. Helligkeit, Dürre und
die Vorsorge fürs Schlimmste, das sind die Rahmenbedingungen, unter denen die Wahrheit
gedeiht. Sie alle treffe ich auf der letzten Station an, im Sukkulentenhaus.
Der Raum hat neben einem mexikanischen, südamerikanischen und madagassischen
Viertel auch ein südafrikanisches, und da wurzeln die saugfähigen alten Bekannten von den
Aloe-Gewächsen über die stachelhäutigen Euphorbien bis zu den weniger durstlöschenden
oder auf erste Hilfe versessenen SA-Strelitzien, deren Blütenpracht dafür einen
unübertroffenen Grabschmuck abgibt. Die traurige Pelargonie, Pelargonium triste, wuchs wie
Unkraut in Ellisras und kugelrunde Encephalartos-Pflanzenschädel knollten auch
scharenweise aus dem staubtrockenen Boden. In einem einzigen Exemplar davon, stellte ich
mir manchmal vor, während ich mit meinem Kugelschreiber zweihundert Seiten ganz so
bestachelte, wie es die Orthographie verlangt, steckte schon die ganze saftige Geschichte, die
ich mir mühsam aus den Fingern zu saugen versuchte, und ich hätte das vegetative
Wunderhirn nur in dünne Scheiben zu schneiden und sie zwischen Papierlagen trocknen
müssen, um alles in stilistischer Meisterschaft nach Hause zu tragen. Aber welche von den
hundert- und aberhundert Knollen war der Datenspeicher? Sollte ich herumlaufen wie ein
wildgewordener Scharfrichter und links und rechts Pflanzenschädel spalten? Als weißer
Amokläufer in der Trainingsphase wäre ich auch in meinem burischen Reservat nicht mehr
weit gekommen. Und die psychiatrischen Einrichtungen op die platteland sind über
westeuropäische Standards erhaben, wie mich Koos anläßlich einer kleinen Fachsimpelei
unter, sagen wir mal, Geistesverwandten einmal wissen ließ.
Hier auf den Lahnbergen dagegen gibt es nur fünf eher unterentwickelte Encephalartiden,
und in meiner Wagentür liegt wie bestellt ein Taschenmesser. Ich rufe mich zur Ordnung,
weil ich, ohne es zu merken, schon ein Quentchen Outback-Spintisiererei eingeschleppt habe.
So geht es nicht. Ich beschließe, meine Ganglien - nicht minder diszipliniert, bitte schön - mit
Ouzo zu desinfizieren und morgen früh gleich nach Öffnung wieder am Kap zu erscheinen:
mit Plastikstuhl, Schreibutensilien, PEN-Ausweis und ein paar Aufmerksamkeiten für die
diensttuenden Gärtner und assistierenden Biologiestudenten.
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