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Lesen - Ulrich Horstmann

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Flurbeleuchtung einzuschalten, wiederhole ich mein Vorspiel, drücke auf die Klingel, läute<br />

Sturm. Im Gegensatz zum ersten Mal passiert genau das, was ich erwartet habe: niks nie.<br />

praat."<br />

Ich nehme ein Taxi nach Cyriaxweimar und - "Hou die kleingeld!" - lasse es warten.<br />

Beim Signalton knistert die Sprechanlage fast postwendend los.<br />

"Ja bitte?" sagt die Nachteule am anderen Leitungsende. "Dis <strong>Ulrich</strong> <strong>Horstmann</strong> wat<br />

Pausenrascheln. Als stopfe sie sich ein Stück Butterbrotpapier in den Mund. Dann klickt<br />

das Tor auf, und mit einer wischenden Handbewegung gebe ich dem Taxi den Start frei. Es<br />

macht sich aufdieselnd davon. Auch der ansprechende Bewegungsmelder hält mich offenbar<br />

nicht für eine unsolide Spukgestalt. In seinem paramilitärischen Flutlicht erfolgt der<br />

Anmarsch in Richtung Freitreppe, auf der sie mit unter der Atemwolke gekreuzten Armen<br />

und einem Gesichtsausdruck Aufstellung genommen hat, der eher auf die Leiterin eines<br />

Umerziehungslagers passen will als auf die Kulturgutsherrin, die sie darstellt.<br />

"Goðan daginn", empfängt sie mich, als ich mich auf ihr Niveau emporgearbeitet habe.<br />

"Goeienand, mevrou Schardt. Het tannie nog 'n kamer beskikbaar?"<br />

"Die isländische Phase ist vorbei?"<br />

"Ja, nee, ons is nou Afrikaanstalig. Jy sal dit lag-lag leer. Mag ek inkom."<br />

Mit einer resignierten Geste tritt sie zur Seite. Der virtuelle Schlagbaum geht hoch.<br />

"Ich weiß nicht, weshalb ich mir das antue."<br />

"Aus alter Freundschaft, denke ich mal."<br />

"Bei den Verkaufszahlen?"<br />

"Die Nachwelt wird's lohnen."<br />

"Die bestellt auch nicht."<br />

Wir sind unterwegs zu den Geschäfts- und Arbeitsräumen im hinteren Gebäudetrakt und<br />

passieren das Büro der Nachtarbeiterein, ohne daß sie mich hineinbittet.<br />

"Buchbinderzimmer, wie gehabt?"<br />

Ich nicke. Sie öffnet. Klebstoffgestank schlägt uns entgegen. Auf dem Sofa stapeln sich<br />

bibliophile Fertigprodukte, die ich ohne Rückfrage umschichte. Aus dem Nirgendwo<br />

erscheinen Kopfkissen und Oberbett.<br />

"Wat van 'n drankie?" räuspere ich mich nach getaner Arbeit.<br />

Sie seufzt: "Wohin tendiert er denn?"<br />

"Witblits."<br />

"Hier gibt's nur noch Apfelschorle oder O-Saft. Aufgrund der sattsam bekannten<br />

Vorgeschichten."<br />

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