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Lesen - Ulrich Horstmann

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Friedhof, auf dem seine Mutter begraben war. Und warum sollte man dann deine Ruhestätte<br />

vor ihm geheimgehalten haben? Oder - vierte und letzte mögliche Erklärung - es ging noch<br />

weiter mit dir bergab und du wurdest straffällig, verurteilt und eingesperrt. Dann hätte die<br />

Verwandtschaft gegenüber den Kindern einen Grund zum Totschweigen gehabt. Dann<br />

bekäme auch die Wendung "Dein Vater ist in Amerika" einen zweiten sinisteren Sinn.<br />

Andererseits wäre in solchen Fällen auf das gute Gedächtnis der kleinstädtischen Umgebung<br />

Verlaß. Die Angehörigen würden beschämt geschwiegen haben, alle anderen aber hätten die<br />

lieben Kleinen zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgeklärt und die 'Brut' nicht darüber im<br />

Zweifel gelassen, daß kriminelles Blut in ihren Adern kreiste.<br />

Möglichkeit drei und vier kann man sogar heute noch ausräumen. Schließlich habe ich<br />

meine Komplizen in den Archiven, und ich will mich auch selbst darin vergraben, damit du<br />

wieder auferstehst. Als gescheiterter Amerikafahrer, wenn ich es mir aussuchen dürfte, als<br />

einer, der alles wagt und nichts gewinnt, ein mit besten Absichten Verunglückter, einer, dem<br />

dein Urenkel, dein Spurensucher, Fleisch von deinem Fleische, deinesgleichen, dann noch<br />

einmal die Weste weißt, den ramponierten Ruf auffrischt, den guten Namen aus der<br />

Versenkung holt.<br />

IX.<br />

Als mit den besten Absichten Verunglückter übernachte ich im Flughafenhotel, in dessen<br />

Lobby und Speisesaal ganz Europa touristisch durcheinanderschwatzt, aber keine Silbe von<br />

ons eie taal, kein Wort Afrikaans zu hören ist. Nur auf ein paar Plastikschildchen, die<br />

vielleicht aus Schlendrian, vielleicht aus Proporzgründen auf meinem Flur überlebt haben,<br />

steht unter dem ausladenden Do not disturb nicht dessen für die Pauschalbucher so exotisches<br />

Äquivalent in isiXhosa oder Tswana, sondern ein schlichtes Moenie steur nie!<br />

Da ich die Aufforderung von innen über den Türknopf geschoben habe, schlafe ich trotz<br />

der lauthals ihren Dienst verrichtenden Klimaanlage und des in aller Herrgottsfrühe<br />

auflebenden Flugverkehrs wie in Abrahams Schoß. Dit is wonderlik aus mindestens zwei<br />

Gründen, einem medizinischen und einem privaten. Letzterer bleibt unter uns, bleibt unter<br />

Koos, Flip, d.h. 'Skunkie', und mir. Sie waren nämlich dabei, als der literarische Ertrag meiner<br />

Transvaaler Reha, über zweihundert flügellahme Seiten, über dem Riesenloch, dem groot gat<br />

ein paar Meilen nördlich von Ellisras, in den freien Fall übergingen. Das leichte Gepäck, mit<br />

dem ich auf medizinischen Rat eingereist war – "Wat is die doel van u besoek?" "Ek is 'n<br />

flikkerbrein, baas, en ek het my oorgrootvader verloor" -, hatte also nicht an Gewicht<br />

zugelegt. Im Gegenteil, auch die Kurpackungen Haldol, Misperdal und Zyprexa, mit denen<br />

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