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Lesen - Ulrich Horstmann

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XLIX.<br />

Die nächste Woche verstreicht ohne besondere Vorkommnisse, dann beginnen die teils<br />

vorhergesagten, teils gänzlich unabsehbaren Heimsuchungen. Die erste geht auf das Konto<br />

des städtischen Fundbüros, das wissen will, ob ich eine, ich zitiere die Frauenstimme, "gewagt<br />

karierte" Winterjacke vermisse. Wieso ich? Marburg hat Zehntausende von Einwohnern, gebe<br />

ich zu bedenken, von den Touristen ... Aber in der Innentasche stecke - es raschelt, die Frau<br />

liest offensichtlich ab - eine "Unterlassungserklärung des Dr. U. <strong>Horstmann</strong> gegenüber der<br />

Verlegerin Anna Magdalena ..." Da hilft kein Leugnen. Wieso mußte ich dieses Papier, das<br />

Anna Schardt mir nach unserer letzten 'Aussprache' abgenötigt hatte, auch noch mit mir<br />

herumtragen, nachdem die Kastanien längst aus dem Feuer geholt waren? Unerklärliche<br />

Zerstreutheit. Ich setze mich ins Auto, hole die Jacke ab, fische das Papier aus der Tasche,<br />

reiße es in kleinste Schnipsel. Die lasse ich von der Cineplex-Fußbrücke aus auf der Lahn<br />

wassern, über der eine Handvoll Mauersegler jagen, weil das Wetter in den März<br />

zurückgefallen ist und es am Himmel nichts zu holen gibt. Die Wintergarderobe entsorge ich<br />

trotzdem mit Hilfe der Streugutkiste an der Parkplatzausfahrt Uferwiesen. Klappe auf, Klappe<br />

zu, und der Fall ist erledigt.<br />

Genau dieses Verfahren versuche ich auch beim zweiten Anruf zu praktizieren, allerdings<br />

mit eher zweifelhaftem Erfolg. Der zuvorkommende Polizist, der mir einen Hausbesuch<br />

abgestattet und mich auf so dezente Art vor Lizzies zudringlichen Freunden gewarnt hatte, ist<br />

am Apparat. Bestimmt hätte ich immer noch keinen Kontakt zu meiner Nichte, denn sonst<br />

wäre er von mir davon in Kenntnis gesetzt worden. Ich bestätige das. Er würde mich in dieser<br />

Angelegenheit auch nicht weiter behelligen, aber leider gebe es behördlicherseits neuen<br />

Aufklärungsbedarf. Ob ich von dem Drogenfund am Cyriaxweimarer Löschteich gehört<br />

hätte? Flüchtig. Ob ich mir erklären könnte, wie ein an mich adressiertes Paket ...? Konnte ich<br />

nicht, weil ich die Anschrift vor der Zweitnutzung selbstverständlich entfernt hatte. Und auf<br />

welche Weise meine Fingerabdrücke auf die Sprühstärkedose geraten seien? Auch da mußte<br />

ich leider passen, hätte meinerseits aber gern in Erfahrung gebracht, woher sich die Polizei die<br />

zum Abgleich nötigen Faksimiles meiner Fingerkuppen beschafft hatte. Aufgrund meiner<br />

Einsilbigkeit, die der Kommissar "unter den obwaltenden Umständen durchaus verständlich"<br />

findet, einigen wir uns auf die Vokabel 'ominös' und die Einschaltung meines Anwalts Stefan<br />

Wiesekopsieker. Vom Informationsgehalt des Schriftsatzes dürfe er dann wohl die<br />

Beantragung oder Nichtbeantragung eines Haussuchungsbefehls abhängig machen, bekomme<br />

ich zu hören. Aber selbstredend. Nur sei Dr. Wiesekopsieker notorisch überlastet, und es<br />

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