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Lesen - Ulrich Horstmann

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wie halten Sie's?" kommt es zurück. "Halten? Womit?" "Mit der Appretur, Sie doppeldeutiger<br />

Schmutzfink, Sie!"<br />

Ob ich mir noch öfter den Mund verbrenne? Ob ich mir einen alkoholfreien Kater hole<br />

bei der Jagd nach dem Streuner? Abwarten. Pirschen. Schritt für Schritt.<br />

Immerhin ist der Steckbrief fertig, oder sagen wir die Vermißtenanzeige, die mein Vater<br />

an die nächste Generation durchgibt, damit die vorvorige wieder Fleisch ansetzt: HEINRICH<br />

WILHELM HORSTMANN, geb. 1. Juli 1853 in Fabbenstädt, Haus Nr. 45 (das schon bei der<br />

Fahrradexpedition meines Großvaters Fritz nicht mehr stand). 1879 heiratet er meine<br />

Urgroßmutter, eine geborene MENKE. Mein Großvater kommt im folgenden Jahr als erstes<br />

Kind der Verbindung zur Welt. Damals soll die junge Familie in Salzuflen oder Schötmar<br />

gelebt haben. Heinrich Wilhelm, mal als Fabrikarbeiter, mal als Werkmeister registriert und<br />

aktenkundig, wird noch dreimal Vater. Mein Vater weiß von Wilhelm (Willi) in<br />

Bremerhaven, zu dessen Beerdigung er in den 50er Jahren mit seinem Vater fuhr. Von Paul,<br />

dessen Spur sich in Dänemark verliert. Und von Richard, der in Bünde von dem<br />

Karussellbesitzer Schüler großgezogen worden ist und dessen Hausnamen trug. Über seinen<br />

Vater Friedrich Wilhelm (Fritz) erfuhr er naturgemäß mehr. Mein Opa erlebte schlimme Jahre<br />

bei Bauern in Südlengern und hatte nach der Schule nichts Eiligeres zu tun, als auszuziehen.<br />

In dieser Zeit wurde ihm auch ein fast gleichaltriger Bursche mit engstehenden Augen<br />

vorgestellt, den er nur von zwei oder drei Prügeleien kannte: "Gebt euch die Hand, ihr seid<br />

Brüder." Das war Willi, mit dem er dann zusammen zu Oma Höfs in die Brunnenallee kam.<br />

Warum hast du für diese vier seit 1885 keinen Handschlag mehr getan? Dich abgesetzt?<br />

Deine Söhne ihrem Schicksal überlassen? Und was heißt, was bedeutet das anschließende<br />

Schweigen? Bodenlose Scham? Eine Schuld, die einem die Stimme verschlägt? Unfall? Tod<br />

noch vor dem Wiedergutmachungsversuch?<br />

24.10.95<br />

Was hast du getan? Was hast du unterlassen? Ich höre. Im Anstand. Ich bin ganz Ohr.<br />

Wie die Erinnerung trügt; die Katze buckelt nicht, sie sitzt und leckt sich die Pfote. Das alte<br />

Logo ziert arg geschrumpft die moderne Spraydose, die ich in einem anständiger sortierten<br />

Supermarkt aufgespürt habe. Die Herstelleradresse ist eine ganz andere.<br />

Sprühe ein Fragezeichen in die Duschkabine, versuche als Schnüffler, der ich jetzt bin, etwas<br />

mit dem Geruch anzufangen. Nach deodorierter Waschküche? Überparfümierter Lauge?<br />

Getrocknetem Aufnehmer? Alles daneben. Dafür veranschaulicht der Nebel, wie du deine<br />

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