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Lesen - Ulrich Horstmann

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eingebildeten Fernrohrs, bis das Grün verschwunden ist, die Blumen und Bäume, der<br />

zeitunglesende Arbeitslose gegenüber, die Nachrichten und Schlagzeilen fast des gesamten<br />

letzten Jahrhunderts. Das alles muß sich auflösen, damit Fingerweg wieder scharf wird, der<br />

im Sternenlicht am Lagerzaun hockt und mit der inzwischen wichtigsten Waffe der Guerillas<br />

hantiert, der ihre Mobilität sichernden Drahtschere.<br />

Drei Zuckersäcke halten Wache, während Jacobus und Halfvyf durch die Lücke<br />

schlüpfen und auf das nächste Zelt zukriechen. Je näher sie kommen, desto vernehmlicher<br />

werden die Geräusche. Ständiges Kinderweinen und -wimmern dringt heraus, bellendes<br />

Husten, das Aufheulen einer Mutter, die sich nicht mehr zu helfen weiß und von ihren<br />

Nachbarinnen, die das gleiche oder Schlimmeres durchgemacht haben, barsch zur Räson<br />

gebracht wird. Die Geräuschkulisse schwillt an und ebbt ab, ein Meer des Jammers, das<br />

Stompie an nichts so sehr erinnert wie an eine kranke lagernde Schafherde. Und vielleicht ist<br />

das der Grund, weshalb er sich am Ziel aufsetzt und, Atem schöpfend, die Hände gleich<br />

mehrfach an der Hose abwischt.<br />

Jacobus stößt zu und trennt die Rückwand auf. Ein Brodem von Schweiß, Urin,<br />

Erbrochenem, von Krankheit, erzwungener Verwahrlosung und händeringender Ohnmacht<br />

schwappt ihnen entgegen. Das Geräusch des die Zeltbahn aufschlitzenden Messers hat im<br />

Inneren für ein paar Sekunden fast vollständige Stille im Gefolge, und als die beiden sich am<br />

Ende des Mittelgangs aufrichten, starren ihnen von den sich auf den Leib gerückten Betten,<br />

die fast aussehen wie rechtwinklig zurechtgefräste angeschmutzte Packeisschollen, Dutzende<br />

von Augenpaaren entgegen.<br />

"Julle is vry", erklärt Jacobus und gestikuliert zum neuen Zeltausgang herüber. "Maak<br />

gou!" Eine häubchentragende Großmutter, ihr fieberndes Enkelkind auf dem Arm, faßt sich<br />

am schnellsten.<br />

"Was sind wir?" fragt sie nach.<br />

"Frei!" bestätigt Jacobus. "Aber schnell muß es gehen und ohne einen Laut."<br />

Der Frau hängt die Kinnlade, während sie den in Sack und Asche vor ihr stehenden<br />

Landsmann beäugt wie ein Mondkalb. Dann beginnt sie meckernd und nervtötend wie eine<br />

gesprungene Schellackplatte zu lachen.<br />

"Baie dankie vir jou heldedaad", stößt sie zwischen den Salven hervor. "Die bittereinders<br />

befreien die Friedhöfe, hört ihr ... leeren die Lager ... aber schnell, hört ihr ... ohne einen Laut,<br />

sagt er ... also los, Frauen und Kinder zuerst ... wat makeer? Keiner will den Anfang machen?<br />

... Ekskuus tog, meneer ... Befehl von oben ... ons veldkornette is hardekoppig, ja, burenstur<br />

sind unsere Beschützer, einer wie der andere ... Namen? Met die grootste plesier ... Masels,<br />

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