Lesen - Ulrich Horstmann

Nein, man kann den Altvorderen nicht dadurch unter die Arme greifen, daß man ihre
Gebrechen auf den Kopf stellt und die Heimsuchungen verkehrt, d.h. sie um hundertachtzig
Grad gedreht nachäfft und also Aufknüpfungs- durch Verknüpfungswahn ersetzt. Davon
haben sie nichts. Und wovon dann? Daß man ihnen hilft, kêrels! Aber sie sind doch tot, und
den Toten ist nicht mehr zu helfen. Maak nie, saak nie, sê ek, toe maar! Wir müssen es
trotzdem versuchen.
Keine Angst, ich nehme meine Medizin mit der Pünktlichkeit und Präzision, mit der
Koos nach seinen woestynjare, dem Einsiedlerleben in der Großen Karoo, zum witblits greift
und den Tresterschnaps durch die ausgedörrte Kehle rinnen läßt. Und ich muß auf meiner
Folgsamkeit nicht länger herumreiten, weil ich nur durch die Einnahme von Zyprexa den
Anschauungsunterricht erhalten konnte, der meine Überzeugung in mir zementiert hat wie
den Sockel unter dem Gedenkstein, auf dem steht, daß wir es trotzdem versuchen müssen.
Außerdem ist diese Einsicht kein Privileg und niemandem verschlossen. Wer mit eigenen
Augen sehen will, wovon ich rede, der möge sich von seinem Hausarzt eine Packung meines
Stabilisators verschreiben lassen und den Beipackzettel so wegwerfend behandeln wie bei
einem x-beliebigen Grippemittel. Dann nämlich wird nur der Papierkorb vor den
Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit gewarnt und mit all den erschreckenden
Nebenwirkungen konfrontiert, die in Kombination mit Alkoholgenuß auftreten können,
während wir uns - richtig eingestellt und wieder ganz die Alten - zur Feier der anhaltenden
Symptomfreiheit noch ein Gläschen genehmigen und den Wagen zum Opernabend aus der
Garage fahren, außengesteuert vom Premierenabo und, wie gesagt, gefestigt genug - salute,
Amadeo - für die wer weiß wievielte Don Giovanni-Inszenierung. Ich sitze die Aufführung
durch wie ein steinerner Gast. Hätte der Oberarzt zwei, drei Reihen hinter mir Platz
genommen, müßte er einen Rückfall vermuten - und griffe schwer daneben. Damals,
angesichts des bühnenreifen rokjagter und ariösen Frauenverschleißers Don Juan, befand ich
mich nämlich erst ein paar Tage wieder auf freiem Fuß, und der zweite Krankheitsschub lag
noch Wochen in der Zukunft.
Ich war also nicht weggetreten, im Gegenteil, ich war versammelt. Hätte ich in dieser Phase
schon mit südafrikanischen Vergleichen aufwarten können, wäre ich um den des laer, Lager
also, nicht herumgekommen, denn alles, was sich zu jenem Zeitpunkt als geistig bewegliches
Gut auffahren ließ, war im Kreis um mich herum aufgestellt, um damit die gut orchestrierten
Angriffe von wenn nicht schwarzen, so doch schwarz gekleideten Eingeborenen auf mein
Trommelfell abzuwehren. Es gibt Augenblicke, in denen ich über mein musikalisches
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