Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
und breiter wird und schließlich die ganze Rückseite der Marionettenbühne herausgezogen<br />
und weggelegt werden kann. Dahinter ist die grenzenlose Dürre und Darre von 1901. Dahinter<br />
ist das Ende der Hoffnung, die Natur, der weiße Gott oder die Geister der schwarzen Ahnen<br />
möchten ein Einsehen haben. Dahinter ist der Anfang des dritten südafrikanischen<br />
Kriegsjahres, als längs der Eisenbahnlinien die Stacheldrahtzäune und Ein-Mann-Unterstände<br />
aus dem Boden schießen, als die Feuerwalze auf Pferdeläufen und Menschenbeinen in Gang<br />
kommt und die ausgeräucherten Frauen und Kinder in die Sammellager transportiert werden,<br />
die ihre Betreiber concentration camps nennen, womöglich auch, weil eine weder nach rechts<br />
noch links sehende, sich erbarmungslos auf sich selbst konzentrierende militärische Logik sie<br />
in die Welt gesetzt hat.<br />
Die Hand ist weg, die Wand ist weg. Jetzt verdeckt ein Gesicht das Unheil, in dem es<br />
geschrieben steht. Eine Frau, nicht von hier. Ausgebleicht und aufgedunsen vom Lipper<br />
Laudan. Den Haarzopf um den Kopf gewickelt, als könne sie schon seit Jahren nicht mehr<br />
ohne Schlinge leben, und mit der zweifarbigen braungrünen Pupille, wie sie auch hinter<br />
Lizzies blauen Kontaktlinsen steckt, die sie sich bei ihrem Frankfurter Ausflug wird einpassen<br />
lassen.<br />
Quer durch das Puppenstubengehäuse meiner Stammkneipe in Ellisras greift Anne Marie<br />
Elisabeth Menke nach mir und meiner Aufhängung und transportiert Mann und Stuhl und<br />
Klotz und Fadenstrang ganz nach vorn an den Schankraumrand, so daß die verzwergte Bühne<br />
ohne Übergang in das endlose Highveld, das Mini- in das Maxitheater übergeht. Meine<br />
Urgroßmutter stabilisiert mich, indem sie meine Arme hinter der Stuhllehne verschränkt, und<br />
richtet den Holzkopf aus, der ihr grobporiges Äußere und den abwesenden Blick, der das<br />
Arrangement noch einmal überprüft wie einen zusammengestrichenen Einkaufszettel, so<br />
schnell nicht vergessen wird. Dann werde ich sitzen gelassen.<br />
Keine Marionettenbühne mehr, kein kroeg, keine hoofstraat, kein Ellisras mehr, keine<br />
Farm, nicht einmal ein Schild mit der Aufschrift Ellis & Erasmus se plaas. Streichungen und<br />
Abzüge, soviel das Herz begehrt, bis die Live-Show beginnen kann mit ein paar Büscheln<br />
vertrocknetem Gras und dem immergleichen windigen Prolog. Tagelang, wochenlang ist es<br />
schon zu hören, van sonop tot sononder, dieses Anblasen der Ereignisse, die nicht stattfinden<br />
wollen, das gegensinnige Strömen unter einem unverrückbaren Himmelblau, die<br />
Ankündigung in Zischlauten. Kalt fühlt der Wind sich an, aber die Steine beklagen sich nicht,<br />
knochentrocken rasselt's aus der Staublunge seines Als-ob, aber die Skelette sind es zufrieden.<br />
Niederschlag hat sie herausgelockt und durch sein späteres Ausbleiben selbst<br />
niedergeschlagen. Um das klapprige Sprachspiel herum bläst sich die Unschuld auf, das Ich-<br />
125