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Lesen - Ulrich Horstmann

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haltsuchend eine der Ladysmith umgebenden Hügelketten fixiert, in denen sich der Feind<br />

eingenistet hat, sind gerade einmal zwei parallele Straßenzüge mit meist schnell<br />

zusammengezimmerten und von Blechdächern gekrönten Häusern. Alles inzwischen von der<br />

Armee requiriert und doch fast ausgestorben, weil die Buren seit gestern ein Geschütz in<br />

Stellung gebracht haben. Es bestreicht die 'Ortsmitte' in den nächsten Wochen mit der<br />

Regelmäßigkeit eines jede Viertelstunde schlagenden Uhrwerks und arbeitet auch sonst<br />

verläßlich, denn die Mittagspause wird ebenso unbeirrbar eingehalten wie die nachmittägliche<br />

Auszeit für boeretroos, den geliebten Kaffee.<br />

Während das häusliche Leben in Ladysmith also auf Nachtbetrieb umgestellt ist, weil<br />

dann die im übrigen eher begrenzten Schaden anrichtenden Detonationen ganz ausbleiben,<br />

wimmelt es in den Zeltlagern und an der Peripherie von Uniformierten und am Ufer des tief<br />

eingeschnittenen Klip River von Zivilisten, die auf die einleuchtende Idee verfallen sind, zum<br />

Schutz von Leib und Leben Höhlen in die Böschung zu graben. Zwischen diesen drei<br />

Schauplätzen wieseln Korrespondenten aus aller Herren Länder, die Ladysmith - nicht anders<br />

als das ebenfalls eingekreiste Mafeking weit oben im Nordwesten - einhundertundachtzehn<br />

Tage lang in den Schlagzeilen halten werden. Daß einer der Herren ein Wort mit den beiden<br />

Neuankömmlingen aus dem letzten Zug gewechselt hat, die nach ihrem Eintreffen sofort<br />

Hacke und Spaten in die Hand gedrückt bekommen und zum Quartiermachen für sich und ein<br />

paar ebenfalls Gestrandete dienstverpflichtet werden, ist trotzdem wenig wahrscheinlich.<br />

Stompie fällt schon an diesem ersten Abend ein barfüßiger und zerlumpter Bursche auf,<br />

vielleicht vierzehn, also nicht älter als Hugo, sein Jüngster, aber vom Leben offenbar mit noch<br />

schlechteren Karten bedacht. Rastlos ist er zwischen den am Ufer lagernden Familien und den<br />

Grabteams unterwegs, bringt hier Wasser, hält dort eine Fackel, kümmert sich um einen<br />

Trupp Lasttiere, driftet zurück an die Böschung. Er hat Hunger und weiß, daß man ein Nicken<br />

oder ein halbverschlucktes Wort des Dankes nicht essen kann; weiß auch, daß Menschen, die<br />

um ihre eigene Zukunft fürchten müssen wie die Eingekesselten von Ladysmith, noch<br />

weniger vom 'Durchfüttern' anderer halten als ohnehin schon. Deshalb ist der Selbstversorger<br />

hinter einer Fassade der Ziellosigkeit auch in Geschäften unterwegs und unterbreitet bei<br />

jedem Kontakt sein Angebot. Es ist zu diesem Zeitpunkt noch für den sprichwörtlichen Appel<br />

und das sprichwörtliche Ei zu haben, steigt aber mit der Zeit im Wert und wird ihm in den<br />

nächsten Wochen zu einem vollen Magen und einer vollständigen Garderobe samt dem<br />

friedlich in den Hosentaschen klimpernden Währungsmix von britischen Pfund und burischen<br />

Krüger-Rand verhelfen.<br />

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