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Mindestens genauso unheimlich wie das Versinken Lizzies im Strudel attraktiver Ich-<br />
Attrappen aber ist das letzte Auftauchen des Heinrich Wilhelm <strong>Horstmann</strong> aus den kindlichen<br />
Verlustierungen und alltäglichen Routinen, wie sie im Junisonnenschein auf dem<br />
Friedrichsplatz zu beobachten sind. Man muß in Überbietung der Durban-Retusche das<br />
Gegenwärtige und Selbstverständliche nur rücksichtslos genug durchstreichen, um auf den<br />
Schauplatz zu gelangen, der ihn seinerseits auslöscht. Das ständige Kommen und Gehen zum<br />
Beispiel, das ich von meiner Bank aus verfolge, das Schlendern, Haltmachen oder zielstrebige<br />
Durchqueren ist in der Gegenwelt undenkbar geworden. Vielmehr herrscht dort ein<br />
pumpender Zustrom in die Ausweglosigkeit. Wenn sie noch aus eigener Kraft laufen können,<br />
bewegen sich die Gruppen von Frauen und Kindern schlurfend und mit ein paar<br />
zusammengerafften Habseligkeiten durch das Tor, die anderen, noch Entkräfteteren, werden<br />
davor abgeladen und von Leidensgenossinnen ins Innere geschafft. Der Friedrichsplatz ist<br />
grün, von Bäumen beschattet, mit Blumen bepflanzt. Was Stompie, hinter einer Bodenwelle<br />
auf dem Bauch liegend, vor Augen hat, erscheint farblos und kahl, und wenn im<br />
metaphorischen Sinne von Bewuchs die Rede sein soll, besteht er aus Dutzenden<br />
hoffnungslos überbelegter Zelte, aus in Reih und Glied aufgepflanzten grauen Dreiecken, bei<br />
denen einem jedoch alles andere auf der Zunge liegt als der Begriff der Schonung. Tollen und<br />
Spielen muß gar nicht erst verboten werden, denn es findet unter den obwaltenden Umständen<br />
des Eingepferchtseins und Hungerns ohnehin nicht mehr statt. Umgäbe man den<br />
Friedrichsplatz, der 1901, also im nämlichen Jahr wie das Konzentrationslager von<br />
Nylstroom, angelegt worden ist, mit dem gleichen stacheldrahtbewehrten Maschenzaun, wäre<br />
er mit seinem Sandkasten, seiner Fontäne, dem auf dem Rasen übenden Jongleur, den<br />
schattigen Sitzgelegenheiten immer noch eine überirdische Vision für die internierten<br />
Zivilisten. Denn in Transvaal haben sie kein Wasser, um sich und ihre Kleidung zu waschen,<br />
keinen Sonnenschutz außer den backofenheißen Notunterkünften, keine sanitären Anlagen<br />
und oft nicht einmal Gleichgewichtssinn genug, um sich auf den Beinen zu halten. Nur Staub<br />
gibt es im Überfluß. Er zeigt ihnen, worin die Briten auch die Familienmitglieder ihrer<br />
burischen Widersacher verwandelt sehen möchten, die den Kampf selbst nach gut zwei Jahren<br />
noch nicht aufgegeben haben.<br />
Daß er aussichtslos geworden ist, kann man dem kleinen Kommando, das vielleicht eine<br />
Meile vom Lager entfernt in Deckung gegangen ist, schon auf den ersten Blick ansehen. Das<br />
Erscheinungsbild der Kombattanten ist desolat - ein jämmerlicher Witz, denn diese<br />
Freischärler sind uniformiert. Von Beginn des Krieges an war eben das das Privileg der<br />
kakies, also der englischen Soldaten, während die Buren stolz in dem zu Felde zogen, was die<br />
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