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Lesen - Ulrich Horstmann

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"Also, seuntjie, dieses Bonbon gegen den Tand da. Sauberer Tauschhandel wie früher.<br />

Einverstanden?"<br />

Ich schiebe ihm die Lufthansa-Pastille in den Mund, er liefert ab: "Da!"<br />

"Dankie", sage ich, wie es sich gehört, "und jetzt baut dir der oompie noch ein Flugzeug,<br />

damit alles zusammenpaßt."<br />

Der Katalog ist in billiger Klammerheftung produziert, so daß sich die mittlere<br />

Doppelseite leicht herauslösen läßt. Nachdem ich alle meine Fundstücke wieder verstaut habe,<br />

mache ich mich ans Knicken und Falten. Das Kerlchen lutscht genüßlich. Ich habe lange kein<br />

solches Spielzeug mehr gebaut, aber es geht noch wie geschmiert. Vor dem Jungfernflug ist -<br />

offenbar in Erfüllung seiner ungeliebten Familienpflichten - auch der Älteste zur Stelle. In der<br />

Windstille segelt die SM-Schwalbe nicht schlecht, und auch die Landung braucht sich im<br />

Vergleich zu dem, was ich miterleben mußte, nicht zu verstecken.<br />

Der Große holt den Flieger zurück, mustert dann den überdeutlich aufschmatzenden<br />

Bruder und fragt: "Darf ich das haben?" Ich nicke.<br />

Abmarsch der Doppelgänger in Richtung Mutter, die durch offenes Schuhwerk<br />

anderweitig gebunden ist. Auch meines Bleibens ist nicht länger. Ich stehe auf, ziehe den<br />

Reißverschluß der Jacke wieder bis oben hin zu und setze meinen Spaziergang fort, bevor das<br />

Gleitmittel, das ich in unschuldige Hände habe gelangen lasse, mich in ein schiefes Licht<br />

rückt.<br />

XIX.<br />

Mit dem Ende des Tagebuchs waren auch die flits en weerkaats, die Geistesblitze und ihre<br />

Nachbilder, vorbei, wahrscheinlich weil sich der Körper an das Ouzo-Zyprexa-Gemisch<br />

gewöhnt hatte. Aber Lizzie studierte Pharmazie, und wenn der Onkel, der ihr ab und zu ein<br />

Scheinchen zusteckte und im Notfall auch schon mit Kollegen des anderen Fachbereichs<br />

telefoniert hatte, einen Designer-Wachmacher und Türöffner brauchte, ließ sie sich nicht<br />

zweimal bitten.<br />

So kam ich doch noch in die Herforder Wohnung mit der Hausnummer 779.<br />

Es ist immer noch Sonnabend, aber schon wieder Hochsommer, kein afrikanischer<br />

allerdings. Die Schwüle hat die Fenster aufgedrückt, und ein Geruch von offener Kanalisation<br />

und faulendem Unrat dringt herein. Anderer Besuch ist auch schon da, ebenso unliebsamer,<br />

unwillkommener. Dafür sind die Kinder weg und sitzen kulleräugig und unter Aufsicht unten<br />

im Stroh eines Leiterwagens, während es über den Dächern wetterleuchtet und sich darunter,<br />

in der väterlichen Wohnung, schon ein Unwetter entlädt.<br />

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