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Lesen - Ulrich Horstmann

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Alles flutet zurück in die Stadt, auf die von Norden, Westen und Osten die burischen Truppen<br />

vorrücken. Unaufhaltsam zieht sich die Schlinge zu; nur der etliche Kilometer breite Streifen<br />

rechts und links der Eisenbahngleise hält sie noch aufrecht, die Verbindung zum Herzland<br />

Natals, stabilisiert den Kreislauf der Versorgungsgüter. Aber auch dieser eiserne Hals wird<br />

morgen schon um seine Aufgabe gebracht sein und ganz ohne Puls daliegen.<br />

Obwohl hier oben kaum ein Lüftchen weht, werde ich ordentlich durchgerüttelt, und dann<br />

reißt auch noch der blaue Himmel auf.<br />

"Na endlich", sagt Bettina und klappt sich neben der Couch wieder in die Vertikale, "alles<br />

in Ordnung?"<br />

"Bißchen schwindelig."<br />

"Ein feuchter Traum von Ellisras? Das läßt hoffen."<br />

Ich schüttle den Kopf: "Alles trocken. Kein Regenwölkchen weit und breit."<br />

"Du redest irre. Komm frühstücken."<br />

Vor dem Fenster noch stockdunkle Nacht.<br />

"Wie spät ist es denn?"<br />

"Kurz nach sechs. Ich muß in die Praxis. Die Tierchen scharren schon."<br />

In mir drängt auch etwas. Ich verschwinde im Bad. "Duschen kannst du nachher",<br />

empfiehlt es durch die Tür. Der Eigensinn reicht aber noch, um den Kopf unter kaltes Wasser<br />

zu stecken.<br />

"Kompliment", begrüßt sie mich mit vollem Mund und gießt Kaffee ein, "der Scheitel<br />

wie geleckt. Fehlt nur noch der Vatermörder."<br />

"Gnädige Frau suchen einen Attentäter?"<br />

"Triebtäter wäre mir lieber. Aber wir wollen nicht in aller Herrgottsfrühe alte Wunden<br />

aufreißen. Hart oder weich?"<br />

"Das Narbengewebe?"<br />

"Das Ei!"<br />

"Danke. Um diese Zeit noch nichts vom Mauersegler."<br />

"Witzbold. Aber wo du es anschneidest, ..."<br />

Während sie mir ihr Anliegen schmackhaft zu machen versucht, fährt sie ein wie ein<br />

Scheunendrescher. Wenn der Stoffwechsel nur halbwegs normal funktionierte, müßte sie bei<br />

einem derartigen Input zulegen wie eine gestopfte Gans und von Vollweibaufreißern umlagert<br />

sein, statt dazustehen wie ein gerupfter Reiher, der in der Not nach jedem Würmchen pickt.<br />

Aber natürlich hat auch sie keine Erklärung; was sie mir statt dessen auseinandersetzt - im<br />

aufziehenden Morgengrauen mit Eigelb in einem und Frischkäse in dem anderen Mundwinkel<br />

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