12.11.2012 Aufrufe

Lesen - Ulrich Horstmann

Lesen - Ulrich Horstmann

Lesen - Ulrich Horstmann

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

"Ich kriege morgens nichts runter. Außer dem hier." Sie hebt leicht die große Tasse an.<br />

"Sag mal, Uli, kannst du mich heute abend zum Bahnhof bringen? Mit dem Auto, meine ich,<br />

wegen der zwei Koffer."<br />

"Wenn mich die Kiste noch wiedererkennt und anspringt, sicher. Hier, probier mal." Ich<br />

schiebe ihr ein fertig geschmiertes Brötchenviertel auf den leeren Teller. Sie lacht und<br />

schüttelt den Kopf.<br />

"Wohin geht die Reise - Brazzaville?"<br />

"Wie kommst du denn darauf? St. Moritz, mit einer Freundin."<br />

"Aber das Semester läuft doch noch."<br />

"Ich habe meine Scheine, Onkelchen. Nun sieh nicht so besorgt aus."<br />

"Ek moet nie daroor bekommerd wees nie?"<br />

"Nein, nie bekommerd. Die Klausuren laufen mir nicht weg, und zwei Semester später ist<br />

auch noch Examen."<br />

"Lizzie, ich weiß nicht."<br />

"Ich aber!" Sie beißt in ihr Brötchenteil und verzehrt es, als klebe Senf darauf.<br />

"Was machen Bruderherz und meine Schwägerin?"<br />

"Sind immer noch dabei, ihre Scheidung einzustielen, genau wie vor einem Jahr."<br />

"Ek is jammer. Aber finanziell ...?"<br />

"Meinst du sie oder mich?"<br />

Ich schiebe die Brötchenkrümel auf meinem Teller zu einem Pfeil zusammen, der in<br />

Lizzies Richtung zeigt. Sie steht auf, gießt mir Kaffee nach; beim Weggehen streicht etwas<br />

federleicht wie ein Luftzug über meine Kopfhaut, dann sitzt sie wieder da en glimlag.<br />

"Mietfrei wohnen, kostenlos mit dem Fahrrad zum Institut und der ein oder andere<br />

Nebenverdienst, der anfällt, wenn man als höheres Semester im Laboratorium ein bißchen<br />

aufpaßt. Nein, nein, Uli, ich kann mich nicht beklagen."<br />

Ich nicke.<br />

"Aber ich sehe mich natürlich nach einer neuen Bleibe um, sobald ich zurück bin."<br />

"Wie lange bleibst du weg?"<br />

"Drei Wochen."<br />

Ich schnalze mit der Zunge: "Drei Wochen St. Moritz in der Hochsaison? Das zehrt an<br />

den stillen Reserven."<br />

"Meine Freundin hat ... was an den Füßen. Und spendabel ist sie auch."<br />

"Muß ich kennenlernen, daardie meisie. Holen wir sie ab?"<br />

62

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!