12.11.2012 Aufrufe

Lesen - Ulrich Horstmann

Lesen - Ulrich Horstmann

Lesen - Ulrich Horstmann

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

zuerst in den höhergelegenen Körperregionen wieder aus. Meine Hand ist gefühllos, aber ihre<br />

Augen sind es auch, und der Marionettenspielerblick darin macht mir eine zweite Gänsehaut.<br />

Dann läuft der Film weiter, als wäre ein restart-Knopf in der Tischplatte verborgen, die<br />

sie jetzt mit beiden Händen beklatscht wie das begeisterte Publikum nach einer umwerfenden<br />

Kabarettnummer. Betty prustet, sie zeigt mit dem Finger auf mich, sie will sich ausschütten<br />

vor Lachen.<br />

"Besser als jede Bettszene. Du warst … umwerfend. … Das nackte … das blanke<br />

Entsetzen. Von Kastrationsangst … nicht zu unterscheiden, Grootegeluk, … deine<br />

Potenzpanik." Sie japst nach Luft. "Hilflos … das Würmchen … man möchte dich ganz<br />

vorsichtig anlegen … wie eine Frühgeburt."<br />

Langsam beruhigt sie sich. "Aber da genau … steckt ja das Problem. Oder steckt gerade<br />

nicht, was? Also nehmen wir besser den Nachschub hier zur Brust."<br />

Mit der ruckfrei-routinierten Bewegung, mit der ein Geflügelmäster den Kümmerlingen<br />

den Hals umdreht, öffnet sie die von mir entdeckte Flasche und schenkt nach.<br />

"Komm, schmoll nicht, Verlegerinnenverführer. War doch gar keine Ampulle drin. Und<br />

wenn die Segler eintreffen, ist jeder froh, wenn er zum Schlafen ins Bett fallen kann und<br />

keine weiteren Reibungsverluste auftreten."<br />

XLVIII.<br />

Filmrisse sind gar nicht zu verachten, besonders wenn das letzte Bild auf der Leinwand ein<br />

Schaumberg ist, aus dem ein klapperdürrer Spinnenarm und ein noch endloseres holzmageres<br />

Bein ragt. Auf der Tonspur dieselbe Fehlanzeige. Beim Rückspulen lande ich immer nur in<br />

jenem erbarmungslosen Grundbaßwummern, das mich mit dem Aufwachen in einen hilflosen<br />

Resonanzkörper verwandelt hat und keinen klaren Gedanken mehr zuläßt. Außerdem ist der<br />

Ausfall der akustischen Aufzeichnungssysteme wahrscheinlich genauso begrüßenswert wie<br />

der der visuellen.<br />

Betty kann ich nicht fragen, selbst wenn ich wollte. Dienst ist Dienst und Schnaps ist<br />

Schnaps, hat sie erklärt und ist ab durch die Mitte. Also sitze ich allein vor dem angebissenen<br />

Brötchen und der langsam kalt werdenden dreiviertelvollen Tasse boeretroos und gehe in<br />

mich, hocke gleichzeitig in mir selbst. Zwischen den mitwummernden Magenwänden<br />

nämlich, die jedes Pulsen wie eine aus ihrer Fixierung gehebelte Lautsprechermembran einen<br />

Millimeter höher, einen Millimeter weiter in Richtung Kehle drückt.<br />

Aspirin ist nur ein Wort. Es muß etwas Durchgreifenderes geschehen, hätte längst<br />

geschehen müssen; 'mü-mü-mü' vibriert der Imperativ auf dem Trommelfell am Ende der<br />

134

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!