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Lesen - Ulrich Horstmann

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"Zählen Sie nach, ob Sie sich eine ausgewachsene Freiheitsberaubung überhaupt leisten<br />

können?" höre ich aus dem ungut nachbarlichen Zähneklappern heraus.<br />

"Das Beste ist den Bach runter, leider, leider. Der Limpopo konnte nicht genug kriegen<br />

davon." Während der Kauapparat weiter Luftlöcher zerhackt, mustert sie mich wie einen<br />

Irren. "Aber das hier wird Ihnen auch prächtig unter die Arme greifen."<br />

"Ich fliege nicht. Ich will auf der Stelle den Kapitän …"<br />

Meine Kapsel legt sich quer vor den Rest der frommen Wünsche. Ich halte ihr Mund und<br />

Nase zu, bevor sie auf Umkehrschub geschaltet hat, versteife Mittel- und Zeigefinger der<br />

anderen Hand. Der leichte Schlag unter den Adamsapfel löst den gewünschten Schluckeffekt<br />

aus. Danach ist es Zeit für den prompt angelieferten Gin, wobei ich mir einbilde, über die<br />

noch niedertourigen Turbinengeräusche hinweg etwas von den glucksenden Stromschnellen<br />

unter dem Gaumensegel und der Kaskade hinter ihrem Zäpfchen mitzubekommen. Als ich<br />

nach der Erste-Hilfe-Leistung von ihr ablasse, ist das Zähneklappern vorbei und die Flugangst<br />

fürs erste vergessen, weil sie mit einem Erstickungsanfall zu kämpfen hat und sich die Lunge<br />

aus dem Leib hustet. Der Gin und das Medikament, das mir jede weitere Arbeit abnehmen<br />

dürfte, aber bleiben an Ort und Stelle.<br />

"Grobian", japst sie schließlich atemlos und mit mehr als gesunder Gesichtsfarbe.<br />

"Plesier, juffrou Moebius. Man tut, was man kann. Wie haben Sie eigentlich den Hinflug<br />

überstanden?"<br />

"Problemlos. Wieso?"<br />

Die Triebwerke heulen dazwischen. Die Maschine beschleunigt. Zwei Schraubstöcke<br />

schließen sich um meinen Unterarm. Die Lippen bewegen sich weiter. Wie ein Mantra<br />

wiederholen sie den immergleichen Satz. Als wir aus der ersten Steigflugphase in einen<br />

sanfteren Anstellwinkel übergehen, schiebe ich mein Ohr heran.<br />

"Nichts anmerken lassen! Nichts anmerken lassen! Ich konnte mir vor den Tieren doch<br />

nichts anmerken lassen."<br />

Um sie bis zum zweiten Frühstück abzulenken, frage ich sie aus. Tierärztin von Beruf.<br />

Habe sie also bei der Ausreise falsch deklariert. Betreibt neben ihren beruflichen<br />

Verpflichtungen von Mai bis in den Herbst ein Mauerseglerlazarett für blessierte Alt- und<br />

unfertige Jungvögel. Ist dabei umflattert von Scharen freiwilliger Helfer. "Die Jungen sperren<br />

nämlich nicht, wissen Sie. Denen muß man oft genug den Schnabel aufdrücken, bevor man<br />

etwas unterbringen kann." "Dit klink bekend", rutscht es mir heraus, "kommt mir bekannt vor.<br />

Sie verzieht keine Miene. Doch - gähnt jetzt. Die Langzeitmaladen und Spätrekonvaleszenten<br />

kann sie nicht mehr zu Hause freilassen. Zu kalt, zu ruppig in zweihundert, dreihundert Fuß<br />

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