Lesen - Ulrich Horstmann

Anno dazumal, sondern billig nachkoloriert und fast schmerzhaft bunt. So chlorophyllig sind
diese Januargärten, daß das bißchen Kahlheit darin gar nicht auffällt, so heftig von Grünspan
überzogen liegen die mit Wintergerste bestellten Felder da, daß die Schneereste darauf
verblassen.
Der renaturierte Löschteich von Cyriaxweimar ist zugefroren und belebt wie auf einem
Breughel-Gemälde. Schlittschuhläufer und kufenlos Schlitternde, mit Decken in seinem
Plastikschlitten justierter Nachwuchs und quer durch den Mahlstrom staksende Pensionäre,
alles, was Dorf und Umgebung an Wetterfesten aufzubieten haben, nutzt die Freizeit des
Wochenendes. Und immer noch ein Minivan arbeitet sich, wenn möglich, auf Steinwurfweite
heran und entläßt nach dem Aufrucken der Schiebetür, wie dieser da, eine schon jetzt vom
Streß leicht gerougete, Ermahnungen verströmende Mutter samt Beifahrern, in diesem Fall
vier sich gegenseitig anblasende Orgelpfeifen. Während einer der beiden Mittleren seinen
zweiten Handschuh nicht finden kann, hat der Jüngste, Mütze hin, Mütze her, schon rudernd
Fahrt aufgenommen. Der Älteste wird hinterhergeschickt, waltet aber seines Amtes nicht,
sondern will aufstampfend wissen, warum ausgerechnet er und immer nur er den
Windelfurzer einfangen soll. Die Mutter ist schon unterwegs. Der zur Strafe verhängte
Liebesentzug wird bei der nächstbesten Gelegenheit hinter ihrem Rücken und per Fußtritt an
den Zweitältesten weitergegeben. Der heult auf. Jetzt geht es darum, wer sich bei wem zu
entschuldigen hat; unterdessen arbeitet sich der Kleinste, die Mütze vorschriftsmäßig
aufgepflanzt, wenn auch noch nicht zugebunden, auf allen vieren Richtung Türholm vor.
Gleich geht es kopfüber in die Tiefe. Nein, doch nicht, denn das Elternteil hat hinterrücks ein
zweites Augenpaar. Mit dem Benjamin auf dem Arm zeigt es seinen Brüdern die rote Karte in
Form des Zündschlüssels und bekräftigt seinen eisernen Willen, auf der Stelle
zurückzufahren, wenn nicht sofort ... Das wirkt. Zwei Minuten später ist die Karawane auf
dem Weg ins Eis.
Ich lasse mich von dem Schauspiel und meinen langsam an Farbenfreude verlierenden
Fingern inspirieren und beginne, in der fremden Jacke nach Handschuhen zu suchen. Dabei
stellt sich heraus, daß sie zwar nur eine andere Art von Überziehern, aber trotzdem
Herzwärmendes zu bieten hat. Also der Reihe nach. In der aufgenähten Oberarmtasche steckt
ein dünnes Schächtelchen mit der Aufschrift "Brazzaville Nights. Gewalttätig schwarz."
Darunter ein wohl ortsansässiges unbekleidetes meisie, das wie vor einer Glutwalze
zurückzuweichen scheint. Feuerzeug und Zigaretten, die Insassen der linken Innentasche,
können diese Angstlust und hitzige Erregung wohl kaum heraufbeschworen haben. Der
handliche kleine Katalog von der anderen Seite schon eher. Ein aus menschlichen
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