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Lesen - Ulrich Horstmann

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Jahres 1899 schon hitzköpfig genug, und der Sonnenstich des Kriegsausbruchs vor ein paar<br />

Tagen hat ihnen den Rest gegeben.<br />

Im Tohuwabohu des hektischen Sichrüstens ist es nicht leicht, zwei Unscheinbaren,<br />

einem burischen Fuhrmann und einem ostwestfälischen Fabrikarbeiter, auf den Fersen zu<br />

bleiben. Aber ich bin Überflieger und fahre die Stationen ab, so wie die Billardkugel des<br />

Könners klickend ihren Parcours absolviert. Start über den beiden Brandblasen da unten am<br />

Rande von Durban. Das sind die Blessuren, die sich zwei unternehmerische Saubermänner bei<br />

dem Versuch geholt hatten, mit ihren Reinigungs- und Stärkemitteln auf dem schwarzen<br />

Kontinent ins Geschäft zu kommen. Nordwestlich davon und eine gute<br />

Ochsenkarrentagesreise entfernt die Zuckerrohrplantage, auf der sich 'Off-Off' und sein<br />

Weggefährte als Vorarbeiter und Kaffern-Aufseher verdingt haben. Notgedrungen und mit<br />

stetig schwindender Einsatzbereitschaft, denn Jacobus kann dem Engelsman, der ihn<br />

beschäftigt, nicht verzeihen, daß er und seinesgleichen sich - keine zwei Generationen ist es<br />

her - boereland unter den Nagel gerissen haben. Und Heinrich Wilhelm versteht die<br />

Anweisungen nicht, die ihm vom hohen Roß herab erteilt werden, und die Zulus tanzen ihm,<br />

soweit sie tagsüber selbst dazu nicht zu faul sind, auf der Nase herum, zumal ihre Tage<br />

angesichts der disziplinierten indischen Konkurrenz gezählt sind.<br />

Wenden über dem Herrenhaus, in dem sich beide, kaum daß die Kriegserklärung bekannt<br />

geworden ist, von dem Farmer, der sie mit Verachtung straft, ihren Restlohn auszahlen lassen,<br />

und flugs retour, Durban toe. Die Bahnstation muß man aus der Luft nicht lange suchen, und<br />

ich leiste mir das Vergnügen, im Schnellzugtempo über die Köpfe der Wartenden auf dem<br />

Perron hinwegzusausen. Der Fahrplan ist so durcheinander wie die politische Lage. Unten<br />

sehe ich die beiden längst befreundeten Bauernsöhne auf dem Bahnsteig darüber<br />

beratschlagen, ob der Zug, wenn er denn fährt, von der Gegenseite überhaupt noch bis<br />

Johannesburg durchgelassen wird, und was sie tun sollen, falls die Reise unterwegs abrupt zu<br />

Ende ist.<br />

Bei ihren Überlegungen sind sie auf die Ausdünstungen der Gerüchteküche angewiesen;<br />

für mich aber läßt sich leicht Solideres in Erfahrung bringen. Die Flügel rührend, als ginge es<br />

schon wieder nach Norden, nach Norden zu den Fleischtöpfen, den Mückenschwärmen des<br />

Abendlandes, fliege ich den Schienenstrang ab: Durban, Pietermaritzburg, Estcourt, Frere,<br />

Chieveley, Colenso und dann über den Tugela River nach Ladysmith. Das Städtchen platzt<br />

aus allen Nähten. Zeltlager, Feldküchen, Wagen, Geschütze, Vieh, Horden gestrandeter<br />

Zivilisten. Aus meiner Höhe wirkt das Ganze wie ein militärischer Bluterguß, und richtig, ein<br />

paar Kilometer weiter ist die Verkehrsader durchtrennt und die Logistik zusammengebrochen.<br />

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