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Lesen - Ulrich Horstmann

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Bei Jacobus Coetzee und Heinrich Wilhelm <strong>Horstmann</strong> steht er erst am nächsten<br />

Vormittag mit seiner verbeulten Wasserdose im Höhlenloch - ein hagerer Scherenschnitt<br />

gegen das gleißende Licht, aus dem die doppelte Anfrage zischelt wie der Dampf aus den<br />

zerschossenen Rohrleitungen der Lok, die in aller Herrgottsfrühe den Belagerungsring<br />

durchbrechen sollte: "You want to get out? Julle wil meneer Joubert dag sê?" Piet Joubert<br />

heißt der faßrunde und gegen seine Fistelstimme ankommandierende Oberbefehlshaber der<br />

Transvaaler Truppen, und was der minderjährige Kleinunternehmer, der sich mit einem<br />

Holzsplitter die Reste eines Vorschusses aus den Zähnen pult, zu bieten hat, ist ein<br />

Schleichweg durch die britischen Stellungen und das Niemandsland davor bis zu den<br />

Schützengräben, die die Afrikaaner gerade erfunden haben und anschließend an das<br />

kriegslüsterne Europa weitervererben werden. "Ja, nee", antwortet Jacobus aus dem<br />

Halbschatten des Vortriebs und schneuzt sich fingerfertig und ganz ohne Taschentuch, "hoe<br />

sal dit gaan?" "En, my jong", setzt mein Urgroßvater, auf den die Hoffmannsche<br />

Geschäftstüchtigkeit doch noch abgefärbt haben muß, hinzu, "wat moet ons betaal?"<br />

Daß sich der ortskundige Hungerleider, der Bure und der Versprengte aus Fabbenstedt<br />

schnell handelseinig geworden sein müssen, habe ich schwarz auf weiß und geradezu mit<br />

Brief und Siegel. Das 'Siege Museum' direkt neben dem Rathaus von Ladysmith ist mein<br />

Zeuge. Dort läßt sich alles besichtigen, was von der Belagerung auf die Nachwelt gekommen<br />

ist. Die farbenfrohen Uniformen der Briten zum Beispiel, in der die Soldaten prächtige<br />

Zielscheiben abgaben, und die Alltagskleidung der Belagerer, von denen es sich einige<br />

Städter nicht hatten nehmen lassen, in Schlips und Zylinder zur Ausräucherung des Gegners<br />

anzutreten. Überhaupt war es nicht mehr und nicht weniger als eine mit ein bißchen Artillerie<br />

verzierte Bürgerwehr, die die Repräsentanten der führenden Weltmacht über hundert Tage<br />

lang in Schach hielt - ohne Rekrutenausbildung, ohne Drill, ohne Sold, ohne jede geistige<br />

oder vielmehr geistlose Ausrichtung in Reih und Glied, dafür mit von den Mannschaften,<br />

nein, den burgers gewählten Vorgesetzten, die hilflos waren, wenn ihre 'Untergebenen' zur<br />

Ernte- oder Viehmarktzeit neue Prioritäten setzten und sich für ein paar Wochen oder Monate<br />

selbst beurlaubten.<br />

Langweilige Waffenkammern mit Dutzenden von Lee-Enfield- und Mauser-Gewehren<br />

bleiben dem Besucher nicht erspart, aber immerhin gibt es dazwischen die Pudding-Granate<br />

und ein Zimmer weiter das raumgreifende Diorama, in dem sich mit einem feinen Ideal-<br />

Stärke-Streifen der Weg markieren ließe, den die drei gegangen, gelaufen, gehuscht,<br />

gekrochen sein müssen, bis der Führer zurückblieb, kaum einen Steinwurf von dem mit der<br />

gewohnten Undiszipliniertheit aufgeworfenen Erd- und Steinwall entfernt. Dahinter wußten<br />

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