Lesen - Ulrich Horstmann

"Ich rede mir einfach ein, Sie sind ein Mauersegler."
"Ein kranker?"
"Federn gelassen haben Sie jedenfalls genug, so wie Sie aussehen."
"Baie dankie."
"War nicht so gemeint. Wenn Sie kein Zugvogel sind, was ist dann Ihr Totemtier?"
Ich zucke mit den Schultern.
"Jeder Mensch hat eins. Einen Zwilling auf der anderen Seite, soul brother unter dem,
was kreucht und fleugt. Sie müssen nur nachdenken."
"Dan is ek die groot wit hiëna, die Hyäne, die die Kadaver ausgräbt."
"Glauben Sie doch selbst nicht."
"Doch, doch. Hab mich quer durch Natal, den Frystaat und Transvaal gescharrt und
danach monatelang meine mitgenommenen Pfoten aufs Papier gedrückt. In Ellisras, falls
Ihnen das etwas sagt."
"Muß es, wet Tina?"
"Wit hiëna, asseblief. Muß es nicht."
Ohne Vorwarnung und aus der unschuldigsten Konversation heraus packt sie wieder zu.
Wahrscheinlich, weil ich kein Mauersegler mehr bin.
"Warum trudelt der jetzt? Ist was mit dem Flügel? Der hängt, sehen Sie doch, der hängt
immer mehr."
"Wir legen uns in die Kurve", sage ich, "wahrscheinlich weil wir sonst Italien den Absatz
vom Stiefel fliegen oder ..."
Ich beiße mir auf die Lippen.
"Oder? Was ist denn, um Himmels willen?"
"... oder wir machen kehrt, weil ich dem Piloten die Pistole auf die Brust gesetzt habe.
Eben hat er sich von seinem Schock erholt und wirft endlich das Ruder herum. Frau Moebius
fliegt auf einer Möbius-Schleife. Wragtig, jy is 'n gelukskind! In acht, neun Stunden können
Sie Ihren kleinen Patienten von oben auf den Kopf spucken."
Etwas passiert mit den Pupillen. Sagen wir, der veterinär-diagnostische Blick durchdringt
das Mayday-Geflacker.
"Geben Sie mir Ihr Portemonnaie."
"Tut mir leid, die Bonbons sind alle aufgelutscht."
"Aber ich finde bestimmt noch Tröstliches."
"Und das wäre?"
"Name und Adresse meines einfühlsamen Flugbegleiters zum Beispiel."
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