Der Burgbote 2015 (Jahrgang 95)
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der vor ihm Rennenden. Im Unterschied<br />
zum »Cross-Checker« arbeitet er sich geradezu<br />
körperlos nach vorn. Vor ihm gestartete<br />
Sänger fragen sich zu Beginn des Vortrags<br />
verzweifelt und mit Recht: Wieso steht<br />
er plötzlich vor mir? Ja, die Natur hat die<br />
Talente ungleich verteilt.<br />
Wichtig bleibt beim folgenden Vortrag und<br />
im Schlussapplaus, dem Publikum einen<br />
möglichst neutralen bis unbeteiligten Gesichtsausdruck<br />
zu präsentieren, um die Strapazen<br />
des vorhergegangenen Platzsturms<br />
nicht deutlich werden zu lassen. Nicht jeder<br />
wird dieser Anforderung gerecht.<br />
Doch kommen wir nun zu den Zurückgebliebenen<br />
der zweiten Reihe. Da hätten wir<br />
zunächst einmal den »Oktopus«. Wie mit<br />
Saugnäpfen ausgestattet, zieht es ihn dicht<br />
an seinen jeweiligen Vordermann heran.<br />
Hoffend, durch eine wie auch immer zustande<br />
kommende unkontrollierte Bewegung<br />
für Bruchteile von Sekunden für das<br />
Publikum sichtbar zu werden. Häufig wird<br />
diese Erwartung allerdings allein schon<br />
durch die Breite (!) oder Größe des vor ihm<br />
Stehenden deutlich erschwert.<br />
Eine völlig andere Taktik wählt der »Lückensucher«<br />
(auch »Zehenspitzler«). Er sucht<br />
und nutzt die zwischen zwei Sängern entstehenden<br />
Zwischenräume, um neugierig,<br />
ja fast schon ein bisschen vorwitzig, zwischen<br />
ihnen hervor zu blinzeln. Auch übernimmt<br />
diese Species gerne Frauenrollen, da<br />
sich durch die erhöhten Absätze der Damen<br />
in der Regel deutliche Größenvorteile ergeben.<br />
Ruhiger geht es schließlich auf den den hinteren<br />
Rängen zu. Hier befinden sich zunächst<br />
einmal die, die dort seit vielen Jahren<br />
in der Regel zufrieden mit sich und der Welt<br />
kaum Anstrengungen unternehmen nach<br />
vorne zu gelangen. Auch sie genießen den<br />
Beifall und nur ganz selten blicken die<br />
Augen des einen oder anderen ein wenig<br />
traurig auf die Glücklichen der ersten Reihe.<br />
Bleibt zu guter Letzt eine Gruppe, die sich<br />
mit dem Begriff »Phlegmatiker« wohl trefflich<br />
charakterisieren lässt. Oft eher nachlässig<br />
gekleidet, ausgestattet mit bizarr anmutendem<br />
Schuhwerk, in der Regel genügsam<br />
und nicht übel gelaunt, tauscht er bereits<br />
beim Schlussapplaus im Schutz der vor ihm<br />
Stehenden die aktuellen Fußballergebnisse<br />
(FC!) oder manchmal private Urlaubserlebnisse<br />
aus. Auch Blickwechsel mit dem weiblichen<br />
Bühnenpersonal sind zu beobachten.<br />
Das Geschehen in den vorderen Reihen<br />
bleibt ihm eher fremd. Bei all dem scheint<br />
er jedoch hinreichend zufrieden, zumal er<br />
sich über Platzmangel nicht beklagen kann.<br />
Selbstverständlich ist diese Aufzählung<br />
noch unvollständig und manch einer mag<br />
sich dort wohl kaum wiederfinden. Doch<br />
Ergänzungen oder gar neue Erkenntnisse<br />
sind immer willkommen.<br />
Und: Ist es eigentlich richtig,<br />
dass die Bühne der<br />
neuen/alten Oper<br />
deutlich schmaler<br />
ist als die im<br />
Blauen Zelt ...?<br />
<strong>Der</strong> <strong>Burgbote</strong> spöttelt<br />
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