Festschrift - Richard Wagner Verband Minden eV
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Postkarte 1924, Bayreuth, Auffahrt zum Richarf <strong>Wagner</strong> Festspielhaus<br />
Punkt vier Uhr beginnen die Festspiele. Von 2 Uhr an rollt eine ununterbrochene Wagenreihe den Hügel<br />
hinan, tausende Fußgänger haben gleiches Ziel. Die lange, schattige Allee ist zu beiden Seiten gesäumt<br />
mit Schaulustigen. Je näher dem Hügel, je dichter wird der Menschenwall. Kurz vor dem letzten Anstieg<br />
teilt sich die Straße. Die Autos rasen den steilen graden Weg hinan, während die Droschken eine bequemere<br />
Schleife fahren… Vom Festspielhaus grüßen zwei blau-weiße und eine schwarz-weiß-rote Fahne<br />
hinab. Auf dem Vorplatz wogt im Sonnenglanze eine schier unübersehbare, erwartungsfrohe Menschenmenge.<br />
Aus allen Gegenden Deutschlands sind die Kunstbegeisterten herbeigeeilt und es gibt ein Grüßen<br />
und Nicken und viel Wiedersehensfreude bei denen, die sich nach 10jähr. Pause hier wieder treffen. Die<br />
Ausländer fehlen fast ganz und auch die früheren Fürstlichkeiten sind größtenteils ferngeblieben… Alles<br />
strömt zum Eingang und mit pochendem Herzen betreten wir die Halle. Schmucklos und einfach der hohe<br />
Bau und weise geordnet die Plätze, die im schwachen Halbrund amphitheatralisch aufsteigen. Es gibt<br />
nicht einen Platz im ganzen Hause, von dem man die Bühne nicht übersehen könnte.- Wie diszipliniert<br />
ist das Publikum, es gibt kein Zuspätkommen und mit dem Glockenschlag 4 nimmt jeder seinen Platz ein<br />
und erwartet lautlos den Anfang des Vorspiels „Die Meistersinger von Nürnberg“, das hohe Lied von deutscher<br />
Meister Ehr und Stolz! Das verdeckte Orchester jubelt und singt unter Fritz Buschs Leitung immer<br />
vornehm, nie aufdringlich, selbst beim stärksten Fortissimo der Blechinstrumente, das ist eben der Vorzug<br />
des verdeckten Orchesters. Solisten und Chor, von Prof. Rüdel einstudiert, geben ihr Schönstes und Bestes<br />
und so entsteht eine Leistung von unerhörter Wirkung, die ihren Höhepunkt auf der Festwiese erreicht. Ist<br />
das Volksgetümmel, das Aufziehen der Zünfte Theater? Das ist Wirklichkeit! Alle Mitwirkenden sind hingerissen<br />
und in einer Ekstase, die ins Publikum übergreift. Spontan erhebt sich bei Hans Sachsens Schlußgesang<br />
alles von den Plätzen… Rauschender, nie erlebter Beifall erfüllte die hohe Halle und dann erklang<br />
in hoher Begeisterung und tiefer Ergriffenheit von fast zweitausend Kehlen gesungen unser „Deutschland,<br />
Deutschland über alles!“ Ein unvergeßlich erhebender und zugleich erschütternder Augenblick!“ 171<br />
Von der Öffentlichkeit und auch vielen <strong>Wagner</strong>ianern wurde dieses Absingen des Nationalliedes aber<br />
als unpassende Demonstration empfunden und sorgte für einen politischen Eklat. Siegfried <strong>Wagner</strong> sah<br />
sich daher gezwungen, in den kommenden Aufführungen Handzettel zu verteilen, die die Aufforderung<br />
enthielten: „Ich bitte alles noch so gut gemeinte Singen zu unterlassen, hier gilt‘s der Kunst“. 172<br />
Mit der Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele, die nach dem Vorkriegsrhythmus zwei Jahre hintereinander<br />
abgehalten wurden und dann ein Jahr Pause einlegten, fand der „<strong>Richard</strong> <strong>Wagner</strong> <strong>Verband</strong> deutscher<br />
Frauen“ in der Sammlung für die Stipendienstiftung und der Vermittlung von Stipendien wieder<br />
zu seiner eigentlichen Zweckbestimmung zurück. Aus Mitteln der Stipendienstiftung konnten insgesamt<br />
171 <strong>Minden</strong>er Tageblatt vom 31.7.1924 („Bayreuther Brief“).<br />
172 Hamann, Winifred <strong>Wagner</strong>, S. 130.