Spurwechsel auf britischen Befehl. - Volkswagen Konzern
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der wandel zum marktunternehmen<br />
Gesellschaft nicht vertraut. Gleiches galt für Tausende von Soldaten<br />
und Flüchtlingen, die ab Juli 1945 stoßweise zum kleinen Belegschaftskern<br />
stießen und mit einer hohen Fluktuationsrate die<br />
Beschäftigtenstruktur im <strong>Volkswagen</strong>werk dominierten. 198 Auf die<br />
damit verbundenen Probleme aus gewerkschaftlicher Sicht wies<br />
der Vorsitzende der im Dezember 1945 gegründeten Allgemeinen<br />
Gewerkschaft, Kiesel, hin, als er im Mai 1946 den geringen Organisationsgrad<br />
der <strong>Volkswagen</strong> Belegschaft beklagte. Die mangelnde<br />
Verankerung der Gewerkschaft führte er dar<strong>auf</strong> zurück, dass<br />
„die überwiegende Mehrzahl der Belegschaft sich aus mehreren<br />
tausend jungen Landsern und entlassenen Kriegsgefangenen zusammensetzt,<br />
die dem Gewerkschaftsgedanken noch sehr fern<br />
stehen“. 199 Außerdem fehlte ein funktionierender Vertrauensleutekörper,<br />
der sich an der Basis um Aufnahmen kümmerte. Ein<br />
späteres Betriebsratmitglied merkte selbstkritisch an, man habe<br />
keine Werbung für die Gewerkschaft gemacht und dadurch bei der<br />
Belegschaft den Eindruck entstehen lassen, dass diese Organisation<br />
überflüssig sei. 200<br />
Neben der fehlenden gewerkschaftlichen Tradition zeichnete<br />
sich die Belegschaft des <strong>Volkswagen</strong>werks durch ein erhebliches<br />
rechtsextremes Potential aus, das sich beharrlich „durch das<br />
Beschmieren der Wände mit Hakenkreuzen und nationalsozialistischen<br />
Inschriften“ artikulierte und trotz mehrfacher Verwarnungen<br />
nicht verstummte. In einer gemeinsamen Betriebsmitteilung<br />
stellten Werkleitung und Betriebsrat 1947 klar, dass die Verbreitung<br />
von Nazi-Propaganda den „guten Ruf und die Zukunft“ des<br />
66<br />
<strong>Volkswagen</strong>werks bedrohe und unter keinen Umständen geduldet<br />
werde. Die Abteilungsleiter wurden verpflichtet, die Entwicklung<br />
mit großer Aufmerksamkeit zu verfolgen und Zuwiderhandlungen<br />
unverzüglich zur Anzeige zu bringen. 201 Ein solcher Aufruf aber<br />
war kaum geeignet, ideologische Kontinuitäten zu unterbrechen.<br />
Die hohe Fluktuation in Verbindung mit einer verbreiteten antidemokratischen<br />
Grundhaltung waren Ausschlag gebend dafür, dass<br />
der Betriebsrat über keinen großen Rückhalt in der Belegschaft<br />
verfügte und für seine Leistungen nur wenig Anerkennung bekam.<br />
Vielmehr befand sich die Arbeitnehmervertretung gegenüber einem<br />
Großteil der Beschäftigten eher in einer Abwehrhaltung. Ihre<br />
schwache Stellung spiegelte sich auch in der Wahlbeteiligung und<br />
den Ergebnissen der Betriebsratswahlen wider und zeichnete sich<br />
bereits in der ersten im November 1945 ab. Nur 62 Prozent der<br />
Beschäftigten nahmen daran teil, wovon 20 Prozent ungültig<br />
stimmten. Zwar mag auch die unpolitische Wahlwerbung der in<br />
der Belegschaft größtenteils unbekannten Kandidaten zur geringen<br />
Wahlbeteiligung beigetragen haben. In erster Linie aber war<br />
die Zurückhaltung <strong>auf</strong> mangelndes Interesse an der Betriebsratsarbeit<br />
zurückzuführen, was unterschiedliche Gründe hatte. Die<br />
einen betrachteten ihr Arbeitsverhältnis im <strong>Volkswagen</strong>werk als<br />
kurzfristige Angelegenheit, die anderen waren über die Funktion<br />
des Betriebsrats nicht unterrichtet oder gingen <strong>auf</strong> Grund ihrer<br />
politischen Überzeugung <strong>auf</strong> Distanz. So lassen die ungültigen<br />
Stimmen <strong>auf</strong> ein Protestpotenzial schließen, das mit der Betriebsratsarbeit<br />
nicht einverstanden war. 202