02.03.2014 Aufrufe

Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Streitbarer Materialismus? 609<br />

kenntnistheorie ist als Wissenschaft, als spezielle Wissenschaft, ohne<br />

praktizistische Scham als Bestandteil des wissenschaftlichen Sozialismus<br />

anzuerkennen. Die Kritik an Haug ist nötig, weil er davon überzeugt<br />

werden zu müssen scheint: Fragen etwa der Abstraktion und<br />

Synthesis, der Wahrheit, der formalen und dialektischen Logik weichen<br />

nicht der „Praxis" aus, sondern qualifizieren — richtig beantwortet<br />

— unsere gesellschaftliche Praxis. Wird die Erkenntnis der<br />

Menschen — und so die <strong>Theorie</strong> über Struktur und Prozeß dieser<br />

Erkenntnis — ausschließlich an die Produktionsverhältnisse — und<br />

so an die <strong>Theorie</strong> über diese Verhältnisse, sprich: politische Ökonomie<br />

— gekoppelt, dann wird die nicht nur wissenschaftsklassifikatorisch<br />

wichtige Spezifik der Wissenschaft von der ideellen, produktiven<br />

Reproduktion der materiellen Praxis verwischt. Eine mechani-<br />

. sehe Einheitswissenschaft steht ins Haus.<br />

in. Materialismus in der Erkenntnistheorie<br />

Man muß Lenin nicht unbedingt zitieren, wenn die Qualität materialistischer<br />

Dialektik zumindest der seinen entspricht; man muß<br />

Lenin zitieren, wenn zu vergessen neigt, was Materialismus ist, wer<br />

nach materialistischer Erkenntnistheorie fragt. Wenn schließlich<br />

nicht mehr zitiert wird, was bei Lenin konstitutiv ist für die Widerspiegelungstheorie<br />

— „Materie"-Begriff und Materialismus —, dann<br />

sollte man hellhörig werden. Zweifellos ist „im Materialismus der<br />

Machtanspruch der materiell Produzierenden ... legitimiert" (Haug,<br />

S. 560), — aber nicht nur dies. Fraglos bestimmt Lenin als Aufgabe<br />

der Erkenntnistheorie die Erklärung des Prozesses vom Nicht-Wissen<br />

zum Wissen; und niemand wird bestreiten, daß Lenin den „Gesichtspunkt<br />

des Lebens" zu dem der Erkenntnistheorie zu machen forderte<br />

und daß Lenin das Paradigma „lebendiger" Wirklichkeits- (Praxisund<br />

Ideologie-) Analyse in Marx' „Kapital" vorfand; — äber nicht<br />

nur dies. Denn der Gesichtspunkt des „Lebens" ist für die Wissenschaft<br />

Erkenntnistheorie nicht der des erscheinenden, nicht allein des<br />

Alltagslebens, sondern des „Wesens" der alltäglichen Lebensweise;<br />

und dieses materiell-praktische gesellschaftliche Leben der Massen<br />

qualifiziert sich zur Praxis nicht allein in und durch Praxis (an-sich),<br />

sondern durch eine objektive, sozial- und ideologievorgängige Materialität<br />

der wesentlichen Lebensdeterminanten. So war die Forderung<br />

Lenins, vom „Leben" auszugehen, bereits eine Schlußfolgerung<br />

aus seinem Materie-Konzept; eine Schlußfolgerung überdies, die nur<br />

im Kontext der methodischen Anweisung zu verstehen ist, „vom Abstrakten<br />

zum Konkreten aufzusteigen" (nebenbei: sowohl diese Methode<br />

der Abstraktion/Konkretion/Abstraktion als auch der Weg des<br />

Erkennens selbst vom Abstrakten zum Konkreten sind Gegenstände<br />

gnoseologischer Forschung, will sie sich nicht reduzieren lassen auf die<br />

bloße Faktizität des erscheinenden Wissens): „Von der lebendigen<br />

Anschauung zum abstrakten Denken und von diesem zur Praxis —<br />

das ist der dialektische Weg der Erkenntnis der Wahrheit, der Erkenntnis<br />

der objektiven Realität" (38, S. 160). Im Kontext der<br />

DAS ARGUMENT 92/1975 ©

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!