Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
660 Wolfgang Fritz Haug<br />
hang des Originals liest, macht man die Entdeckung, daß dort nicht<br />
nur z. T. das Gegenteil dessen steht, was Leist unterstellt, sondern<br />
sich auch die Lösung des Pröblems findet, bei dessen Formulierungsversuch<br />
sich Leist in soviel Widersinn verstrickt.<br />
Leist wollte Engels' Auffassung wie folgt wiedergeben: Dialektischer<br />
Materialismus gründet sich umstandslos auf „weiter nichts als<br />
einfache Auffassung der Natur so, wie sie sich gibt, ohne fremde<br />
Zutat". Lesen wir bei Engels nach:<br />
„Heute liegt die ganze Natur als ein wenigstens in den großen<br />
Grundzügen erklärtes und begriffenes System von Zusammenhängen<br />
und Vorgängen vor uns ausgebreitet. Allerdings heißt materialistische<br />
Naturanschauung weiter nichts als einfache Auffassung<br />
der Natur so, wie sie sich gibt, ohne fremde Zutat, und daher verstand<br />
sie sich bei den griechischen Philosophen ursprünglich von<br />
selbst. Aber" — das alles stimmt für uns so gar nicht ohne weiteres,<br />
denn: „zwischen jenen aiten Griechen und uns liegen mehr als zwei<br />
Jahrtausende wesentlich idealistischer Weltanschauung, und da ist<br />
die Rückkehr auch zum Selbstverständlichen schwerer, als es auf<br />
den ersten Blick scheint. Denn es handelt sich keineswegs um einfache<br />
Verwerfung des ganzen Gedankeninhalts jener zwei Jahrtausende,<br />
sondern um seine Kritik, um die Losschälung der innerhalb<br />
der falschen, aber für ihre Zeit und den Entwicklungsgang selbst unvermeidlichen<br />
idealistischen Form gewonnenen Resultate aus dieser<br />
vergänglichen Form. Und wie schwer das ist, beweisen uns jene<br />
zahlreichen Naturforscher, die innerhalb ihrer Wissenschaft unerbittliche<br />
Materialisten sind, außerhalb derselben aber nicht nur<br />
Idealisten, sondern selbst fromme, ja orthodoxe Christen." 22<br />
Engels' Problem ist die unwissenschaftliche Weltanschauung von<br />
Leuten, die in ihrem Fach und womöglich auf engstem Spezialgebiet<br />
ausgezeichnete Wissenschaftler sind und dies nur sein können, indem<br />
sie zugleich „unerbittliche Materialisten" sind, was den reflektierteren<br />
Geistern unter ihnen auch bewußt ist. Warum stellt sich dieser<br />
Sachverhalt immer wieder ein? Nach Engels deshalb, weil die Aufdeckung<br />
des Gesamtzusammenhangs und die Überwindung des der<br />
Zusammenhanglosigkeit entspringenden gesellschaftlichen Bewußtseins<br />
so schwierig ist und zuerst geleistet und von jedem einzelnen<br />
angeeignet sein muß. Worauf aber sollte diese Kritik Fuß fassen,<br />
wenn nicht auf der Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen jenes<br />
Sachverhalts? Wie also ohne Berücksichtigung von Klassenstruktur<br />
und Arbeitsteilung, vor allem auch der Absonderung geistiger Tätigkeiten,<br />
wie ohne Berücksichtigung des Entwicklungsstands der Produktivkräfte<br />
sollte diese Kritik geleistet werden? Erst die Ergreifung<br />
und Verallgemeinerung der praktisch-erfahrungsmäßig gewonnenen<br />
Erkenntnisse der Naturwissenschaften vom' Standpunkt jener umfassenden<br />
Kritik des gesellschaftlichen Zusammenhangs, in dem diese<br />
Erkenntnisse gewonnen wurden und angewandt werden, vom Standpunkt<br />
einer Kritik, die in der Perspektive der vergesellschafteten<br />
22 F. Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, S. 469.<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©