Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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644 Rolf Zimmermann<br />
Die Aufführung solcher Selbstverständlichkeiten ist systematisch<br />
so zu interpretieren, daß es darum geht, gegen idealistische Positionen,<br />
ob sie sich nun auf die Geschichte oder die äußere Natur beziehen,<br />
auf Grundtatsachen zu verweisen, die mit Sinn nicht zu bestreiten<br />
sind und von denen eine materialistische <strong>Theorie</strong> auszugehen<br />
hat 25 . Weil es sich jedoch hier um Grundtatsachen handelt,<br />
ist es eine falsche Alternative zur idealistischen Erkenntnistheorie,<br />
wenn in materialistischer Absicht versucht wird, die Frage der<br />
Existenz der Außenwelt in dieser Weise zu lösen, daß man ihren<br />
theoretischen Beweis unternimmt. Damit würde anerkannt, es sei<br />
hier irgendetwas zu beweisen, und solange dies nicht geschehen sei,<br />
könne nicht von der Existenz der Außenwelt ausgegangen werden.<br />
Im Gegenteil: gerade weil hier positiv nichts zu beweisen ist,<br />
handelt es sich bei solchen Grundsachverhalten um jenes „auf sich<br />
selbst ruhende und positiv auf sich selbst begründete Positive".<br />
Dadurch wird Marx' Ansatz beim Grundbegriff der Praxis im<br />
Sinne der sinnlich-menschlichen Tätigkeit, die immer schon eingebettet<br />
ist in die Faktizität der äußeren Natur und die Faktizität<br />
konkreter gesellschaftlicher Menschen; nicht schwächer, sondern<br />
stärker. Stärker deshalb, weil das „auf sich selbst begründete Positive"<br />
dadurch, daß es theoretisch grundlos ist, noch unangreifbarer<br />
dasteht. Wenn überhaupt, dann ist es eine solche Einsicht, die den<br />
Ansatz der Marxschen <strong>Theorie</strong> als erkenntnistheoretische Selbstreflexion<br />
leitet.<br />
Von dieser Darstellung aus läßt sich die Elimination der Abbildtheorie<br />
folgendermaßen geben:<br />
1. Die von Marx am Leitbegriff der Praxis zum Ausgangspunkt<br />
gemachten Grundverhältnisse Mensch-Natur und Mensch-Mensch<br />
enthalten als eine ihrer Seiten — „oder um für die Deutschen klar<br />
zu schreiben ... ,Momente'" 26 — sowohl die „Existenz der Außenwelt"<br />
wie einen Begriff von „objektiver Erkenntnis" in dem Sinn,<br />
daß Erkenntnis sich auf subjektunabhängige Sachverhalte bezieht.<br />
Um dies auszudrücken, bedarf es keiner Abbildtheorie. Soll die Abbildtheorie<br />
nicht mehr sein als die Formulierung solcher im Grundansatz<br />
von Marx enthaltener Voraussetzungen, ist sie eine zwar<br />
windschiefe, aber mit einiger terminologischer Toleranz ertragbare<br />
façon de parier —, wenn nur immer dazu gesagt wird, daß mit dem<br />
Diktum „das Bewußtsein ist das Abbild des Seins" eigentlich gemeint<br />
ist „Gegebenheiten der Welt existieren unabhängig von den<br />
sich auf sie beziehenden Subjekten" und daß mit dem „Abbildcharakter<br />
der Erkenntnis" nur auf den vom erkennenden Subjekt<br />
unabhängigen Sachverhalt verwiesen wird, der erkannt wird, oder<br />
daß eine prinzipielle Möglichkeit „richtiger Abbilder" nicht mehr<br />
sagt als eben die prinzipielle Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen.<br />
Streit um Worte lohnt nicht, wenn es nur um Worte geht. Anderer-<br />
25 Ebd., S. 28.<br />
26 MEW 3, S. 29.<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©