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Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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1 Besprechungen<br />

Schönen Seele nachträumen, das zwar grundsätzlich alle literarischen<br />

Bereiche bestimmt, als sentimental und harmoniesüchtig überhöhtes<br />

„Kitsch-Schönes" auf der Trivialebene aber „unverstellter" als in den<br />

Romanen, „die in den Literaturgeschichten überdauerten, (...) die<br />

Sehnsüchte" artikuliert, denen bis hin zur Heftchenliteratur des<br />

Bastei-Verlags „der Liebesroman seine unveränderte Popularität<br />

verdankt" (50).<br />

Mit dieser Kitschsphäre konfrontiert Ueding nun einen anderen<br />

Themenkomplex, in dessen Mittelpunkt das aushäusige Heldentum<br />

der Outlaws, Genies (79), Gesetzesbrecher (89), großen Einzelnen<br />

(127), überhaupt aller in einen fundamentalen „Widerspruch zur<br />

zweckhaften Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft" geratenen<br />

Abenteurer (74) steht: die Literatur der großen Kolportage, deren<br />

^Prototyp Defoes Robinson ist und deren „Grundbücher" für ihn zwar<br />

„nicht mit der Ware jener 43 000 Kolporteure identisch" sind, „die<br />

vor dem Ersten Weltkrieg jährlich etwa 20 Millionen Leser in<br />

Deutschland bedienten", wohl aber „noch heute, allen anderen voran",<br />

mit den .„reißenden Märchen' (Bloch) Karl Mays" (67). Dieser<br />

Erfinder der modernen Montagetechnik (202) hat in seinen „Ausbruchs-"<br />

(133) und „Aufklärungsromanen" (120) „ungeschminkt und<br />

unverstellt" alles das ausgedrückt, was sich „das Verlangen auch<br />

breiter bürgerlicher Schichten der Bevölkerung nach einem Gegenbild<br />

zur Ausweglosigkeit und Stagnation der gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

der Gegenwart" nur träumen lassen konnte (135). Wie Sues<br />

„Geheimnisse von Paris" signalisiert sein Werk „Zeichen eines allgemeinen<br />

Unbehagens an der bestehenden staatlichen, vor allem aber<br />

sozialen Ordnung" (88). Wie dieser betreibe er „ohnmächtige Sozialkritik"<br />

(122) und biete, verschwommen zwar, aber volksnah als Lösung<br />

der deutschen Misere das große Thema der Auswanderung und<br />

den Glauben an die Aktivität „großer Einzelner" an (127). Ueding<br />

sieht in alldem eminent Progressives. Hegels Skepsis gegen romantisches<br />

Abenteurertum wird zitiert und als bürgerlicher Konservativismus<br />

beiseitegelegt. Weimanns Robinson- und die Marxsche<br />

Analyse des Grafen Rudolf aus den „Geheimnissen von Paris" wird<br />

in ihr Gegenteil verkehrt, und was auch liberale bürgerliche Literaturhistoriker<br />

als „Niederschlag der imperialen Sehnsüchte einer<br />

ganzen Epoche" interpretiert haben (K. G. Just über Karl May), wiïd<br />

gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Statt dessen insistiert Ueding<br />

unter dem Geleitschutz eines Blochschen Einfalls („Träumt also Kolportage<br />

immer, so träumt sie doch letzthin Revolution, Glanz dahinter")<br />

auf einer Deutung des verkappten „Waldröschen"-Herzogs<br />

von Olsunna Dr. Karl Sternau als „reitender Vernunft" (121). Allein<br />

die Tatsache seines „Ausritts" aus der Gesellschaft unterstreiche<br />

seine für alle Helden der Kolportage exemplarische „Weigerung, sich<br />

mit dem Bestehenden abzufinden" (136), seine „Emanzipation" (139),<br />

deren Lohn nicht ausbleibt. „Draußen, fern jeder Sicherheit und<br />

Bevormundung, entwickeln" sich die vaterlosen Helden „zu den<br />

verantwortlichen, autonomen Individuen, die sie daheim nicht sein<br />

durften oder konnten" (92).<br />

DAS ARGUMENT 92/1975 ©

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