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Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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656 Wolfgang Fritz Haug<br />

stufe des Wissensdarstellt. „Genetisch" heißt natürlich nicht „historisch<br />

nacheinander", sondern bezieht sich auf die Entstehung und auf das<br />

Entwicklungsniveau einer Form; wie überall existieren auch auf ideologischem<br />

Gebiet unterschiedliche genetische Stufen historisch nebeneinander.<br />

Aus der zitierten Äußerung von Marx läßt sich die Auffassung<br />

herauslesen: Philosophie entsteht bei der Auflösung der Religion,<br />

betreibt diese Auflösung; sie löst die Religion in Gedanken<br />

auf, d. h. entwickelt den Weltzusammenhang aus dem Denken, konstruiert<br />

aus dem Kopf; sie verbleibt mit dieser Methode, also genau<br />

mit ihrer die Religion negierenden Kraft, dem auf sich selbst gestellten<br />

Denken, ans Negierte gebunden, bewegt sich in der „in Gedanken<br />

aufgelösten religiösen Sphäre" 14 . Für diese idealisierte Sphäre der<br />

Religion ist begründend ein Vernunftgebrauch, der das Verhältnis<br />

von Ausgangspunkt und Resultat der Erkenntnisgewinnung auf den<br />

Kopf stellt. Diese Sphäre ist also aufgebaut aus abgehobenen, verselbständigten<br />

Aktionen. Was macht diese Sphäre plausibel? Was<br />

brachte die fortgeschrittensten Theoretiker mehr als zwei Jahrtausende<br />

lang dazu, sich in ihr zu bewegen? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit<br />

oder auf Erfassen einer Rangordnung seien einige<br />

Gründe angedeutet. Die gleichsam neutrale Möglichkeit für die Entstehung<br />

einer derartigen Denkweise weist Marx in der Gesetzmäßigkeit<br />

unseres Erkenntnisvermögens auf, komplexe Gegenstände nur<br />

auf dem Wege der theoretischen Rekonstruktion erkennen zu können<br />

15 . <strong>Das</strong> „Ganze" eines komplexen Gegenstands erscheint zunächst<br />

als chaotische Vorstellung, bis durch Analyse einfache Bestimmungen<br />

gefunden sind, aus denen es sich zusammensetzt. <strong>Das</strong> begriffene<br />

Ganze, „wie es im Kopf als Gedankenganzes erscheint, ist ein Produkt<br />

des denkenden Kopfes", seiner „Verarbeitung von Anschauung<br />

und Vorstellung in Begriffe". <strong>Das</strong> Konstruieren aus dem Kopf hat<br />

darin eine gewisse Grundlage seiner Plausibilität. <strong>Das</strong> philosophische<br />

Bewußtsein, dessen Methode dieses Konstruieren ist, hypostasiert<br />

(„übertreibt") jenes Moment; es ist so bestimmt, daß ihm „das begreifende<br />

Denken als der wirkliche Mensch und daher die begriffene<br />

Welt als solche erst das Wirkliche ist". Seine spezifische Formbestimmtheit<br />

gründet also in der Verkehrung des Verhältnisses von<br />

Begriff und materieller Wirklichkeit. Wird dieselbe Erkenntnisstruktur<br />

weiter substantialisiert, entspringt die allgemeinste Grundauffassung<br />

des Idealismus, der „die Bewegung der Kategorien als der<br />

wirkliche Produktionsakt erscheint..., dessen Resultat die Welt ist".<br />

Vermutlich macht nichts so sehr die „idealisierte Sphäre" plausibel<br />

wie die Getrenntheit des Philosophen von der materiellen Praxis.<br />

14 Entsprechend schrieb Marx schon in den „Pariser Manuskripten":<br />

„Feuerbachs große Tat ist: 1. der Beweis, daß die Philosophie nichts andres<br />

ist als die in Gedanken gebrachte und denkend ausgeführte Religion;<br />

eine andre Form und <strong>Das</strong>einsweise der Entfremdung des menschlichen<br />

Wesens; also ebenfalls zu verurteilen ist..." (MEW, Erg.Bd. I, S. 569).<br />

15 K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Einleitung,<br />

Berlin/DDR 1953, S. 22. Von hier stammen die folgenden Zitate.<br />

DAS ARGUMENT 92/1975 ©

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