Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Geschichte 741<br />
der ökonomischen und klassenstrukturellen Verhältnisse zu erklären;<br />
ein „spezifisches Mehr an Bürgerfreiheit" ist jedenfalls keine befriedigende<br />
Erklärung für die Entwicklung hin zu einer Verschleierung<br />
der Klassenverhältnisse durch die bürgerliche <strong>Theorie</strong>. Hier wie auch<br />
in der Beschränkung der Staatsableitung auf die Weltmarktkonkurrenz<br />
und Interessengegensätze innerhalb des Bürgertums kann Gerstenberger<br />
ihrer Intention, „die Forschungsrelevanz des klassentheoretischen<br />
Ansatzes zu verdeutlichen" (13) und „die Kategorien der Gesellschaftsanalyse<br />
zu erproben und weiterzuentwickeln" (9), nicht genügen.<br />
Trotzdem ist die Arbeit ein wesentlicher Beitrag zur Untersuchung<br />
der Konstituierung des bürgerlichen Staates im Rahmen<br />
eines marxistischen Forschungsansatzes, nicht zuletzt auch angesichts<br />
des großen Mangels an Arbeiten, die sich nicht nur auf gelegentliche<br />
historisch-empirische Illustrationen beschränken.<br />
Gert Bruche (Berlin/West)<br />
Beard, Charles A.: Eine ökonomische Interpretation<br />
der amerikanischen Verfassung. Suhrkamp Verlag,<br />
Frankfurt/M. 1974 (392 S., br., 28,— DM).<br />
Beard, der inzwischen zu den Klassikern der amerikanischen Politikwissenschaft<br />
zählt und dessen Bücher noch zu seinen Lebzeiten<br />
millionenfach aufgelegt wurden, erntete nicht nur begeisterte Zustimmung,<br />
als er 1913 „An Economic Interpretation of the Constitution<br />
of the United States" veröffentlichte. Ein Teil der akademischen<br />
Zunft fiel entrüstet über ihn her, verleumdete und verketzerte ihn.<br />
Ganz zu schweigen vom „offiziellen Amerika" — Big Business und<br />
Big Government —, das ihm, der zum Populismus und Progressismus<br />
neigte, vorwarf, ein nationales Symbol der Vereinigten Staaten entweiht<br />
zu haben, und ihn deshalb zum potentiellen Staatsfeind erklärte.<br />
Dabei bestand das Sakrileg, das Beard begangen hatte, einzig<br />
und allein darin, daß er die amerikanische Verfassung als ökonomisches<br />
Dokument apostrophiert und dafür eine umfängliche empirische<br />
Begründung geliefert hatte. Zwar wurde der Autor nicht zuletzt<br />
durch den Sozialliberalismus unter der Ägide des New Deal weitgehend<br />
rehabilitiert. Dennoch vergingen noch einmal vierzig Jahre,<br />
bis sein Werk in deutscher Übersetzung erschien. Dieses geradezu<br />
skandalöse Desinteresse hatte freilich eine ganz spezifische wissenschaftsgeschichtliche<br />
Ursache; das Faktum nämlich, daß die Politikwissenschaft<br />
quasi mit der amerikanischen Besatzungsmacht nach<br />
Westdeutschland zurückkehrte und zumindest sektoral — als Comparative<br />
Government — lange Jahre die Demokratisierungs-Ideologie<br />
und damit auch das idealistische Verfassungsverständnis reproduzierte.<br />
Es ist das Verdienst des Stuttgarter Politikwissenschaftlers<br />
Johann Baptist Müller, endlich dafür gesorgt zu haben, daß die Rezeption<br />
Beards in der Bundesrepublik den Kreis der Spezialisten<br />
überschreiten kann. Seine Einleitung, die den wissenschaftsgeschicht-<br />
DAS ARGUMENT fo/1975 ©