Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Wider den bloß verbalen Materialismus 677<br />
das Wesen aufzudecken. Sandkühler sollte es Rotermund und allen<br />
Mystikern der verabsolutierten Ideologiekritik überlassen, sich darüber<br />
zu ärgern, daß Marx diese Aufgabenstellung allgemein, Naturund<br />
Gesellschaftswissenschaft umgreifend, formulierte.<br />
Nur die historische, gesellschaftliche und praktische Auffassung<br />
des Erkenntnisprozesses vermeidet die Scholastifizierung der Erkenntnistheorie,<br />
schrieb ich in <strong>Argument</strong> 81. Die Praxisbezogenheit<br />
formulierte ich recht allgemein: zu Scholastifizierung mit ihren unlösbaren<br />
Scheinfragen kommt es dann, wenn der Erkenntnisprozeß<br />
„kontemplativ aufgefaßt wird, abgetrennt von der wirklichen Lebenspraxis<br />
(und von deren Grundprozeß, dem durch Arbeit vermittelten<br />
Stoffwechsel des Menschen mit der Natur), also unpraktisch<br />
gedacht wird" 52 . Wer hakt hier ein mit dem Verweis auf „abstrakte<br />
Arbeit im Kapitalismus", um das Kriterium der Beziehung von Erkenntnis<br />
und „durch Arbeit vermittelten Stoffwechsel des Menschen<br />
mit der Natur" zu entkräften? Rotermund? Nein, Sandkühler 53 :<br />
„Abstrakte Arbeit im Kapitalismus enthält aber nur abstrakt die<br />
sozial-historisch und historisch-logisch gespeicherten Abstraktionen,<br />
deren sich jedes schon sinnliche Erkennen im Gebrauch sprachlicher<br />
Symbolbedeutungen bewußtlos bedient. Die Reduktion auf ,Arbeit'<br />
würde diese naturwüchsigen' Abstraktionen aus der Erkenntnisanalyse<br />
ausblenden." An diesem Einwand scheint mir vieles unklar<br />
(z. B. die Bedeutung der Wortzusammensetzung „sozial-historisch<br />
und historisch logisch gespeicherte Abstraktionen"; soll es heißen,<br />
die genannten Abstraktionen sind sozialhistorisch gespeichert? Aber<br />
das ergäbe keinen Sinn. Vermutlich soll irgendwie von Abstraktionsergebnissen<br />
und -instrumenten gesprochen werden, die im Laufe der<br />
Sozialgeschichte erworben und in Gestalt des jedem einzelnen von<br />
der Gesellschaft weitervermittelten sprachlichen und logischen Apparats<br />
gespeichert sind, ohne daß dieser Sachverhalt dem einzelnen<br />
bewußt ist...). Vor allem ist es ganz falsch und gehört ins Syndrom<br />
der verabsolutierten Ideologiekritik, „Arbeit" als Vermittlerin des<br />
Stoffwechsels Mensch-Natur auf „abstrakte Arbeit" zu reduzieren.<br />
Dieser Begriff ist hier vollkommen unsinnig. Denn auf der Abstraktionsebene<br />
„Stoffwechsel Mensch-Natur", die eine Grundbedingung<br />
aller Gesellschaft und Geschichte bezeichnet, taucht Arbeit als ewige<br />
Naturnotwendigkeit auf, und der Unterschied von abstrakter und<br />
konkreter Arbeit wird hier nicht relevant, wenn man nicht sagen<br />
will, die Bestimmung der Naturnotwendigkeit hebe die Arbeit als<br />
52 Was soll..., S. 567.<br />
53 Sandkühler geht so weit, sich gegen „Haugs einseitige Begründung<br />
der Erkenntnis aus Praxis" mit dem <strong>Argument</strong> zu stellen, Praxis sei<br />
„eben jene Realität, die Erkenntnisobjektivität bis in den Kapitalismus<br />
vielfältig verhindert". In der Art des Soziologismus wird hier das Moment<br />
falschen Bewußtseins verabsolutiert. Nun muß die Wahrheit Kopf stehen,<br />
sie kann nurmehr aus der Idee der Materie herausgezogen werden. Praxis<br />
=Materieprozeß — kann nie falsch sein. Man sieht, Soziologismus und<br />
Ontologie spielen einander zu.<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©