Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Soziale Bewegung und Politik 751<br />
Destruktion der nationalstaatlichen Souveränität hervorgehen und<br />
auf der Souveränität des Rechts basieren soll. Und diese Zukunftsträume<br />
werden von einer <strong>Theorie</strong> wie der „Reinen Rechtslehre"<br />
Hans Kelsens und anderen reichlich genährt, die zu dem Schluß verführt,<br />
der Weltfrieden könne sich gleichsam automatisch mit der Aufhebung<br />
der Souveränität einstellen, weil sie die Wurzel internationaler<br />
Konflikte und Kriege sei. Wie glaubwürdig auch die Intentionen<br />
sein mögen, die sich heute an die Weltstaatsidee heften, sie ändern<br />
nichts daran, daß diese Idee faktisch „zu einer probaten Hülle<br />
imperialistischer Herrschaftsprätentionen" (20) degeneriert ist. Nicht<br />
zufällig fiel die Renaissance der Weltstaatsidee mit der schweren<br />
Wirtschaftskrise von 1893/97 in den Vereinigten Staaten zusammen,<br />
die den amerikanischen Expansionismus der folgenden Jahre stimulierte.<br />
Warum Meister, der in groben Zügen die Funktionalisierung<br />
der Weltstaatsidee für hegemoniale und imperialistische Ziele beschreibt,<br />
dieses symptomatische Ereignis ignoriert, ist um so unerfindlicher,<br />
als sich dieses originäre Zusammentreffen von Imperialismus<br />
und universalistischer Einigungsidee vorzüglich eignet, um die<br />
enge Verflechtung von Ideologie und Politik zu exemplifizieren. Es<br />
überrascht dann auch, daß er seine Darstellung der Metamorphose<br />
bürgerlicher Weltstaatstheorien mit einer Kritik der Europa-Konzeption<br />
Coudenhove-Kalergis beginnt. Auch wenn es zutrifft,<br />
daß die Paneuropa-Ideen wandlungsfähig genug waren, um im Kontext<br />
der amerikanischen Nachkriegsstrategie einen stärker kosmopolitischen<br />
Charakter als zuvor anzunehmen (22), so ist doch daran<br />
zu erinnern, daß andere europäische Einigungsbewegungen — allenvoran<br />
die liberal oder sozialistisch orientierten wie die englische<br />
Federal Union und die Union Européenne des Fédéralistes — in der<br />
Frühphase ihres Bestehens viel dezidiertere weltföderalistische Programme<br />
mit ihren Europa-föderalistischen Plänen verschmolzen und<br />
daß sie sich auch den Organisationen der Weltföderalisten anschlössen.<br />
In den späten vierziger Jahren wurde deutlich, welcher Unterschied<br />
zwischen den kosmopolitisch angehauchten Europa-Föderationsplänen<br />
und der Weltstaatsidee bestand: daß die ersteren nämlich<br />
im Gegensatz zum Maximalismus der letzteren starke regionalistische<br />
Zwischenelemente enthielten, die endgültig dominierten,<br />
als der kalte Krieg seinem Höhepunkt entgegenging. Dem Gradualisms<br />
der europäischen Einigungsentwürfe hat sich die Weltstaatsidee<br />
— wie Meister vermerkt (62 ff.) — erst in den sechziger Jahren angenähert,<br />
als sie in Verbindung mit der Konvergenztheorie Auswege<br />
aus der innen- und außenpolitischen Labilität der Vereinigten Staaten<br />
markieren sollte, ohne allerdings die Zielperspektive der Pax Americana<br />
preiszugeben. Zwar wurde die Weltstaatsidee auch schon zu<br />
ihrer eigentlichen Blütezeit nach dem Ende des zweiten Weltkriegs<br />
benützt, um die Ziele des amerikanischen Hegemoniestrebens durch<br />
die Aussicht auf eine gleichsam systemneutrale Civitas Maxima zu<br />
kaschieren (35 ff.), obwohl dies dem Willen ihrer Verfechter und Anhänger<br />
häufig ganz und gar nicht entsprach. Weil reale Chancen für<br />
eine amerikanische Suprematie während dieser Jahre aufgrund des<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©