Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Philosophie 705<br />
Die zentralen Aufsätze des Bandes kreisen um die Sozialisierungsund<br />
Rätefrage, um das Problem revolutionärer Gewerkschaftsarbeit<br />
(Aufsätze, die z. T. heute noch überaus aktuell sind), um „Staat und<br />
Konterrevolution" (327—336) und um die politische und ideologische<br />
Entwicklung in der nachleninschen Sowjetunion. Daneben findet sich<br />
' eine Reihe von Arbeiten, die sich mit Marx' Stellung zur bürgerlichen<br />
Revolution von 1848 (371—384), mit der spanischen (220—243) und der<br />
' chinesischen Revolution (160—170) beschäftigen. An den Spanien-<br />
Aufsätzen wird Korschs Affinität zu anarchistischen und syndikalistischen<br />
Bewegungen besonders deutlich. Beschlossen wird der Band<br />
durch „Zehn Thesen über Marxismus heute" (385—387), in denen<br />
Korsch sehr entschieden an einigen marxistischen Grundsätzen rüttelt.<br />
Dort heißt es auch: „Alle Versuche, die marxistische Lehre als<br />
Ganzes und in ihrer ursprünglichen Funktion der sozialen Revolution<br />
der Arbeiterklasse wiederherzustellen, sind heute reaktionäre Utopien"<br />
(385). Nimmt man diesen Satz isoliert, so wäre damit allerdings<br />
jene „Korsch-Legende" bestätigt, die besagt, Korsch sei immer ein<br />
Antikommunist gewesen. <strong>Das</strong> ist sicher nicht so umstandslos Wahr,<br />
denn immerhin heißt es in den gleichen Thesen, daß es um den „Wiederaufbau<br />
einer revolutionären <strong>Theorie</strong> und Praxis" gehe (386). Wenn<br />
Korsch schreibt, daß Marx „nur einer unter vielen Vorläufern, Begründern<br />
und Weiterentwicklern der sozialistischen Bewegung" sei,<br />
wenn er postuliert, daß „mit dem monopolistischen Anspruch des<br />
Marxismus" gebrochen werden müsse (ebd.), so läßt sich m. E. daraus<br />
weniger eine definitive Absage Korschs an den Marxismus ableiten<br />
als vielmehr begründetes Mißtrauen gegen eine <strong>Theorie</strong>, die, vormals<br />
revolutionär-praktisch orientiert, unter Stalin längst zum ideologieschen<br />
Dogma, zur affirmativen „Weltanschauung" herabgesunken<br />
war. Die sog. Zürcher Thesen mit ihren marxismus<strong>kritische</strong>n Aussagen<br />
sind nur dann wirklich zu begreifen (und gerecht zu bewerten),<br />
wenn man sie materialistisch in den Kontext des mit Stalins Namen<br />
verbundenen Niedergangs der kommunistischen Weltbewegung rückt.<br />
Denjenigen freilich, die Korsch in vordergründiger politischer Absicht<br />
entweder für sich zu reklamieren oder aber in den Orkus<br />
des Antikommunismus zu befördern trachten, um sich jeweils fragwürdige<br />
Legitimationen für die eigene Praxis zu verschaffen, sollte<br />
zu denken geben, was Korsch bereits 1927 formulierte und sich heute<br />
wie eine frühe Kritik am gegenwärtig grassierenden linken Sektierertum<br />
liest: „.. .die Hauptaufgabe für die revolutionären Arbeiter in<br />
Deutschland besteht heute ganz und gar nicht mehr darin, an jenen<br />
unvermeidlich im inneren Kreis der Beteiligten ... mit großer Heftigkeit<br />
andauernden .häuslichen Streitigkeiten' der verschiedenen rechten,<br />
mittleren und linken Strömungen in den Kommunistischen Parteien<br />
und um die Kommunistischen Parteien teilzunehmen. Unsere<br />
Aufgabe besteht darin, jenen toten ,Kommunismus', der als ein betrübliches<br />
und bisweilen närrisches Gespenst in der heutigen proletarischen<br />
Arbeiterbewegimg .umgeht, zu seinen Toten heimzuschicken,<br />
und uns mit verdoppelter Energie hineinzustellen in die heute schon<br />
mit fühlbarer neuer'Kraft beginnenden gegenwärtigen und wirk-<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©