Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Rainer Rotermundt<br />
Materialistische Erkenntnistheorie - was soll das?<br />
Zum Beitrag von W. F. Haug in<br />
<strong>Das</strong> <strong>Argument</strong> 81<br />
Haug geht von der Frage nach dem „Verhältnis von Bewußtsein<br />
und Sein oder Denken und Sein" (S. 560) aus. Zwar setzt er sich von<br />
Lenins Formulierung des Problems als der Frage nach Entstehung<br />
von Wissen aus Nichtwissen ab, wenn er bemerkt, der Begriff des<br />
„Nichtwissens" sei doppeldeutig; auf diese Weise differenziert er<br />
verschiedene Formen von „Wissen", akzeptiert aber dennoch die erkenntnistheoretische<br />
Grundfrage, statt sie als historisch bestimmte<br />
Form „verkehrten Bewußtseins", d. h. in ihrem spezifisch bürgerlichen<br />
Charakter, zu enthüllen. Jedoch gerade dies wäre als allgemeine<br />
Voraussetzung jeder Diskussion über „materialistische Erkenntnistheorie"<br />
zu leisten. Ansonsten nimmt man bürgerliche Erkenntnistheorie<br />
als das, was sie sich selbst dünkt: überhistorisch<br />
gültige philosophische Problematik.<br />
I. Erkenntnistheorie als Ideologie<br />
Die Reflexion darüber, wie das erkennende Subjekt des zu erkennenden<br />
Objekts habhaft werden könne, hat ein bestimmtes Begreifen<br />
des Verhältnisses von Subjekt und Objekt, von Begriff und Begriffenem<br />
zur Voraussetzung, nämlich ihre Trennung, ihr jeweiliges<br />
An-Sich-Sein. Und dieses ist historisches Produkt menschlichen<br />
Bewußtseins, ist Moment bürgerlicher Ideologie, da die Trennung<br />
beider Seiten erst mit Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft zur<br />
gesellschaftlichen (materiellen) Realität geworden ist.<br />
Durch den Doppelcharakter seiner Arbeit ist die Stellung des Warenproduzenten<br />
zu den durch seine Tätigkeit hervorgebrachten<br />
gesellschaftlichen Verhältnissen real in einer Weise bestimmt, die<br />
jene Verhältnisse als unbeeinflußbar vorgegebene Naturzusammenhänge<br />
erscheinen läßt. Wird nämlich die gesamtgesellschaftliche<br />
Reproduktion auf der Basis privater Arbeit, als Warenproduktion<br />
geleistet, so wird das Wertgesetz zum inneren Funktionsprinzip der<br />
Gesellschaft. Da dieses aber unbewußtes (objektives) Resultat der<br />
subjektiven Tätigkeit der Produzenten darstellt, sich nur „hinter<br />
deren Rücken" (Marx) durchsetzt, erscheint es gerade nicht als Ergebnis<br />
der besonderen historischen Produktionsform, sondern als überhistorisches<br />
Naturgesetz, als Resultat menschlicher Arbeit schlechthin.<br />
Demzufolge nimmt die objektive Dialektik der Hervorbringung<br />
von gesellschaftlichen Verhältnissen der Warenproduktion und der<br />
DAS ARGUMENT 82/1975 ©