Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Praxisbegriff und Abbildtheorie 641<br />
Ausgangspunkt bei einem mit seinen „Vorstellungen" beschäftigten<br />
einsamen „Ich" genommen wird, dessen Verhältnis zur Welt allererst<br />
noch theoretisch zu konstruieren ist.<br />
Dem entspricht ein gegenüber der Tradition veränderter Bewußtseinsbegriff<br />
und seine systematische Abhängigkeit vom Grundbegriff<br />
der sinnlich-menschlichen Tätigkeit. Letzteres drückt sich u. a.<br />
aus in der Bestimmung des Bewußtseins als der Form, in der das<br />
Verhältnis zur Welt und anderen Menschen als Verhältnis existiert<br />
15 . Vorausgesetzt hierfür sind die durch den Praxisbegriff reflektierten<br />
Grundverhältnisse der Menschen zur Natur und untereinander,<br />
die immer dann zu betonen sind, wenn gegen die Tradition<br />
der Erkenntnistheorie der Primat des theoretischen Verhaltens<br />
kritisiert werden soll:<br />
„Aber die Menschen beginnen keineswegs damit, ,in diesem theoretischen<br />
Verhalten zu Dingen der Außenwelt zu stehen'. Sie fangen,<br />
wie jedes Tier, damit an, zu essen, zu trinken etc., also nicht<br />
in einem Verhältnis zu .stehen', sondern sich aktiv zu verhalten,<br />
sich gewisser Dinge der Außenwelt zu bemächtigen durch die<br />
Tat..."<br />
Abgesehen von der hierin enthaltenen Kritik idealistischer Positionen,<br />
bringt die soweit gegebene Charakterisierung des Marxschen<br />
Ansatzes die Abbildtheorie in Schwierigkeiten. Da in dieser <strong>Theorie</strong><br />
das Bewußtsein als Abbild des äußeren Seins bezeichnet wird, reproduziert<br />
sich, wenn auch in materialistischer Absicht, die Zugangsweise<br />
der traditionellen theoretischen Philosophie über das am<br />
Leitbegriff des Bewußtseins festgemachte Konstrukt eines „erkenntnistheoretischen<br />
Subjekts", das sich nolens volens am Grundmuster<br />
eines theoretischen Verhaltens zum „Sein" orientiert. Systematisch<br />
gesehen, ist dies der Hauptmangel der Abbildtheorie, der<br />
jedem Streit über Passivität oder Aktivität des „Bewußtseins als Abbild"<br />
vorausliegt. Die Abbildtheorie formuliert eine Alternative<br />
innerhalb einer mit dem Idealismus geteilten Grundorientierung<br />
von Erkenntnistheorie an Bewußtseinstheorie, die Marx mit dem<br />
Praxisbegriff durchbricht.<br />
Darin liegt nicht, daß nun „Bewußtsein", „Denken", „Erkenntnis",<br />
„theoretisches Verhalten" keine Themen mehr sind; es bedeutet<br />
aber eine systematische Verschiebung dieser Begriffe in Abhängigkeit<br />
vom Grundbegriff der sinnlich-menschlichen Tätigkeit, Praxis.<br />
Insofern dieser Begriff das Definiens für „materialistisch" abgibt,<br />
besteht ein Gegensatz zu einer mit dem Terminus „materialistisch"<br />
etikettierten Abbildtheorie. Die weitere Diskussion dieses Gegensatzes,<br />
den ich nicht nur wegen der genannten allgemeinen Gründe<br />
für unaufhebbar halte, sondern auch wegen der spezifischen<br />
Falschheit eines Bewußtseinsbegriffs qua Abbild, lasse ich hier deshalb<br />
auf sich beruhen, weil mir der einfachere Weg, die Abbild-<br />
15 Vgl. MEW 3, S. 30.<br />
15a Marx, „Randglossen zu Wagner", MEW 19, S. 362.<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©