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Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Jura 757<br />

Verfassung und sozialer Wirklichkeit ein, wobei er feststellt, daß<br />

Hermann Heller „mit dem Begriff der dialektischen Zuordnung'<br />

(von Rechtsnorm und sozialer Wirklichkeit, C. S.) ein Höchstmaß<br />

.wirklichkeitsnahen' Normverständnisses" erreicht habe (49).<br />

Er fordert ein den „komplexen Sachzusammenhängen der entscheidungserheblichen<br />

Wirklichkeit angemessenes Normverständnis"<br />

(50, 51). Vor „ideologisch vorbestimmten Denkmodelle'n oder überkommenen<br />

,Wirklichkeits'schablonen" warnend (51), plädiert er für<br />

„prinzipielle Offenheit der Norm gegenüber dem jeweiligen Faktenkomplex",<br />

wodurch das „Eindringen gewandelter sozialer Maximen"<br />

im Einzelfall gewährleistet sei (53). Da er der „Einbeziehung sozialwissenschaftlicher<br />

Erkenntnisse" bei der „Normkonkretisierung" wie<br />

allgemein bei der Rechtsanwendung zunehmende Bedeutung beimißt<br />

(60), wendet sich der Autor sozialwissenschaftlichen Definitionen<br />

des ,sozialen Wandels' zu. Nachdem er zahlreiche Definitionen<br />

bürgerlicher Politologen und Soziologen referiert und dabei auf die<br />

unterschiedlichen methodischen Ansätze aufmerksam gemacht hat,<br />

konstatiert er eine „relative Unergiebigkeit von <strong>Theorie</strong>n des sozialen<br />

Wandels" für das Problem richterlicher Verfassungskonkretisierung<br />

(72), was sich gerade angesichts „grundsätzlicher Zweifel"<br />

an herkömmlichen Interpretationsmaximen „in prekärer Weise" auswirke<br />

(75). In dieser Situation erscheint dem Autor die „Besinnung<br />

auf das Erfordernis der Rationalität" notwendig und damit „Skepsis<br />

gegenüber vermeintlich zeitnahen Leerformeln und Abwehr ideologisch<br />

angereicherter Grundbegriffe" (77). — Deutlicher noch warnt<br />

der Autor im Anschluß an eine Untersuchung von Entscheidungen<br />

des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Verwendung der Begriffe<br />

,Verfassungswandel', ,sozialer Wandel', Gesellschaft', die ihn<br />

zu einem ähnlich unbefriedigenden Ergebnis bringt, vor anderen<br />

methodischen Ansätzen: „Die Beschränkung auf aktuell geltendes<br />

Verfassungsrecht verweist tendenziell norm- oder systemüberwindende<br />

<strong>Theorie</strong>n auf die Möglichkeiten, die der politische Prozeß in<br />

legitimer Weise begründet" (99).<br />

Wenn der Verfasser angesichts der negativen Befunde gar die<br />

Frage stellt, ob nicht ein Verzicht auf die Begriffe ,sozialer Wandel'<br />

und ,Verfassungswandel' angebracht sei (73, 103), so hat dieses Ergebnis<br />

seine Ursache weniger in der „Konfusion innerhalb des Gesamtbereichs<br />

(der Sozialwissenschaften, C. S.)" (73) als in dem Rechtsbegriff,<br />

der sich in den Ausführungen andeutet. Zwar betont der<br />

Autor einen engen Zusammenhang von Recht und Gesellschaft, was<br />

in Rechtsphilosophie und -theorie inzwischen gemeinhin anerkannt<br />

ist, ohne dessen Beschaffenheit aber näher darzustellen. Jedoch kann<br />

erst eine Begründung, die das Recht aus bestimmten klassenmäßig<br />

strukturierten gesellschaftlichen Grundlagen erklärt und damit die<br />

Bedingungen und Grenzen seiner Wirksamkeit erkennt, zu Aussagen<br />

über Bedeutung und Möglichkeiten verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung<br />

zu .sozialem Wandel' gelangen.<br />

DAS ARGUMENT 92/1975 ©

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