Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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1 Besprechungen<br />
Schneiders Buch ist einer der jüngsten von zahlreichen Versuchen,<br />
Psychoanalyse und Marxismus miteinander zu versöhnen. Sein Programm<br />
ist vielversprechend, er will das positive Element der bürgerlichen<br />
Psychoanalyse verbinden mit dem Marxismus. Aber schon<br />
nach der Lektüre des ersten Teils, in dem es mit Freud gegen „Vulgärmarxisten"<br />
geht, ist der Leser enttäuscht. Schneider referiert die<br />
Einwände der von ihm so genannten „Vulgärmarxisten" (es handelt<br />
sich dabei in der Hauptsache um sowjetische Psychologen der 20er<br />
und 30er Jahre), wobei seine Kritik gegen diese Einwände sich nur<br />
äußert in den Namen, mit denen er diese Kritiker belegt: Bolschewisten<br />
bzw. Stalinisten, bolschewistische, anarchokommunistische<br />
Orthodoxie, russische Parteikommunisten, russische Orthodoxie,<br />
Sowjetmarxisten und die ihnen hörigen kommunistischen Parteien,<br />
etc. Gegen Ende dieses Teils gibt er ihnen jedoch in allen wesentlichen<br />
Punkten recht; es bleibt allein der Vorwurf übrig, sie hätten<br />
die Subversivität der Psychoanalyse nicht erkannt. Subversiv ist bei<br />
Schneider das Gütezeichen für alles, was es für ihn zu verteidigen<br />
gilt. v<br />
Subversiv an der Psychoanalyse sei das „hedonistische Lustprinzip",<br />
weil es die Moralgrundlagen der bürgerlichen Gesellschaft in<br />
Frage stelle oder, um mit Schneider zu sprechen, „subversiv kritisiert".<br />
Zusätzlich diene es als „heilsame Provokation" für die bürgerliche<br />
Sozialwissenschaft (79). Abgesehen davon, daß unklar bleibt,<br />
weshalb diese Gründe ausreichen, um an diesem Prinzip festzuhalten,<br />
muß klargestellt werden, daß das hedonistische Lustprinzip, also der<br />
Vorrang der Triebbefriedigung vor dem Realitätsprinzip, gerade<br />
nicht Teil der Freudschen <strong>Theorie</strong> ist. Freud hat vielmehr den Vorrang<br />
des Realitätsprinzips betont, die Notwendigkeit der Triebsublimierung,<br />
weil durch sie seiner Meinung nach die Errungenschaften<br />
der Zivilisation, die er durchaus bejahte, ermöglicht würden.<br />
Im zweiten Teil des Buches („Mit Marx — gegen die bürgerliche<br />
Ideologie der Psychoanalyse") werden bekannte <strong>Argument</strong>e gegen<br />
die Psychoanalyse wiederholt: Sie sei keine Wissenschaft, Freud habe<br />
die Erkenntnisse, die er an einer besonderen Schicht von Patienten<br />
zu einer bestimmten Zeit gewonnen habe, ungerechtfertigterweise<br />
auf die Menschen und die Gesellschaft schlechthin übertragen.<br />
Schneider macht es sich vergleichsweise einfach; er enthält sich<br />
jeglicher Beweisführung; dies hält er konsequent im ganzen Buch<br />
durch; statt dessen bedient er sich platter Analogien. Ein Beispiel:<br />
„Die phallische Konkurrenz (...) scheint eher ein sekundärer Niederschlag<br />
des bürgerlichen Konkurrenzmechanismus (...) zu sein. Die<br />
phallische Konkurrenz hat ihren eigentlichen Nährboden in den<br />
gesellschaftlichen Verkehrsformen der kleinen Warenproduzenten<br />
(des Kleinbürgertums'), die bis aufs Messer miteinander konkurrieren<br />
müssen, um ihre Produkte und damit ihre .Potenz' auf dem<br />
.freien Markt' durchzusetzen" (98). Schneider ist offenbar klar, daß<br />
sich seine Kritik an der Psychoanalyse in die Nähe jener „Vulgärmarxisten"<br />
begibt, die er doch zu bekämpfen sucht. Wie anders wäre<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©